Beerensommer
hatte, er solle mitkommen; aber er hatte offenbar wirklich sehr schlecht ausgesehen.
»Es ist spät geworden gestern Abend«, hatte sie noch beiläufig bemerkt, ihre Stimme klang sehr beunruhigt.
»Parteiversammlung«, hatte er nur gesagt und so falsch war das auch nicht gewesen. Vielleicht habe ich heute Nacht meine Familie und mich endgültig ruiniert, dachte Johannes.
Friedrich wird es wissen, er wird genau wissen, wer sein Dynamit gestohlen hat! Er ahnt vielleicht sogar, wo wir es versteckt haben.
Welcher Teufel hat mich nur geritten? Aber ich musste es tun, muss auch weiterhin etwas tun, um Paules und der anderen Kameraden willen.
Vor einigen Wochen war ein Genosse aus Stuttgart da gewesen. Er hatte bei ihrer Versammlung im Nebenzimmer der »Krone« gesprochen, hatte berichtet, dass die Rechten immer stärker würden, hatte auf Italien und Mussolini hingewiesen und auf einen Mann, der in München die Biersäle füllte, einem Krakeeler, der von den Kapitalisten gehätschelt und gefüttert wurde. Er hatte von der Hindenburg-Kamarilla erzählt und davon, dass man wieder eine Diktatur in Deutschland errichten werde, dass die Rechten aufrüsteten und man sich auf den unvermeidlichen Gegenschlag vorbereiten müsse. Er hatte die Genossen aufgerüttelt mit dieser Rede, vor allem Johannes, der immer wieder Paul Pacholke vor sich sah. »Es muss anders werden in Deutschland, Jungchen, soll denn alles umsonst gewesen sein?«
Etwas später hatte Johannes dann die Idee gehabt!
Er war benebelt gewesen vom ungewohnten Bier, zudem hatte der Genosse aus Stuttgart auch einige Runden Schnaps spendiert. Trotzdem hatte er es klar und deutlich vor sichgesehen: Von »der Bewaffnung des Proletariats« hatte der Genosse gesprochen. Nun gut, er wisse, wo es Sprengstoff gäbe, hatte Johannes gesagt. Dynamit, sogar in größeren Mengen – das hatte wirklich eingeschlagen! Der Stuttgarter Kamerad war ganz aufgeregt gewesen. »Wenn ihr das hinkriegt – und bringt es dann zu uns nach Stuttgart, wenn’s losgeht.«
Sie hatten lange flüsternd die Köpfe zusammengesteckt, damit der Kronenwirt nichts hören konnte, und dann war der Plan perfekt gewesen. »Wo verstecken wir das Zeug, bis die Stuttgarter es abholen können?«, hatte der Maier Oskar noch gefragt. Und da hatte er, Johannes, plötzlich eine Idee gehabt. »In der alten Fichtenschonung, oben beim Katzenbuckel. Kein Grunbacher geht da hin, weil sie seit jeher Angst haben, dass es dort spukt.«
Die Genossen waren begeistert gewesen. Und Johannes sollte der Anführer bei dem Unternehmen sein!
Wie euphorisch war er gewesen, als er in dieser Nacht nach Hause gelaufen war, berauscht vom Alkohol und der Vorstellung, was Paule wohl dazu sagen würde! Endlich geschah etwas und er trug seinen Teil dazu bei, dass Paules Ideen wahr werden konnten. Und dass er und Rosa und viele andere endlich gerächt wurden!
Die Euphorie hatte dann auch die nächsten Tage angehalten. Da war nämlich noch etwas anderes, das er nicht so richtig einordnen konnte, aber es hing mit Friedrich zusammen, Friedrich, der ihn verfolgte, nicht losließ, der immer noch Teil seines Lebens war – auch weil seine Augen ihn täglich anstarrten, Georgs Augen, bittend und flehend.
Ein Stachel in meinem Fleisch, der wehtut, immerzu. Johannes vergrub den Kopf in seinen Händen. Die Verzweiflung, die er den ganzen Tag niedergekämpft hatte, ergriff ihn jetzt mit Macht. Was habe ich mir dabei nur gedacht? Schleiche mich mit rußbeschmiertem Gesicht wie ein Dieb durch den Wald! Und ein Dieb bin ich ja auch. Unheimlich war es gewesen, der Mond hatte sich hinter einer Wolkenbank verzogen, es war stockdunkel, und obwohl er jeden Weg und Steg kannte, war ihm sehr unwohl zumute gewesen. Das Flüstern der Baumwipfel, das Knacken und Knistern am Wegrand, das von vorbeihuschenden Tieren rührte, klang merkwürdig fremd und bedrohlich in seinen Ohren. Hinter jeder Krümmung des Weges witterte er Gefahr, bildete sich auf einmal sogar ein, Friedrich selber trete ihm dort aus dem Wald entgegen.
Der Lärm, den sie beim Aufbrechen der Tür verursacht hatten, gellte geradezu unerträglich in ihren Ohren, und als sie dann die schweren Kisten zur Schonung hinaufgeschleppt hatten, war ihnen der Schweiß in Bächen über die Stirn in die Augen gelaufen, sodass sie immer wieder stehen bleiben mussten, um sich das salzige, rußige Nass aus den Augenhöhlen zu wischen! Die anderen hatten Angst gehabt, das Zeug in den Kisten könnte
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