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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Schöne Zucht, die nur auf Prügel gegründet war, dachte Friedrich. Vater hat mich nie geschlagen und trotzdem war sein Wort für mich Gesetz! Er spürte, wie sich wieder das vertraute Brennen hinter den Augen einstellte, wie immer, wenn er an seinen Vater dachte. Schnell schluckte er die aufsteigenden Tränen hinunter und riskierte einen kurzen Seitenblick zu Johannes, der schräg vor ihm saß.
    Friedrich erschrak. War Johannes denn verrückt geworden? Er malte! Malte unter der Bank, hingebungsvoll und ganz entrückt. Das Buch hatte er ganz nah zu sich herangezogen, um einen gewissen Schutz zu haben, aber sobald ihn Caspar genauer betrachten würde, fielen die Bewegungen seiner Hände auf. Und wenn er ihn aufrief, wusste Johannes garantiert nicht, was gerade behandelt wurde. Und dann gibt’s Prügel, dachte Friedrich, der eine gewisse Bewunderung nicht unterdrücken konnte. Johannes kassierte ständig Prügel, wohl auch, weil die Lehrer instinktiv spürten, dass er keine Angst vor ihnen hatte und dass ihm die Schule letztlich egal war. Friedrich hatte lange den Verdacht gehegt, dass Johannes den Dummen nur spielte, aber seit er ihn näher kannte, wusste er es genau. Denn in dem Fach, in dem er hätte glänzen können, im Malen und Zeichnen, fertigte Johannes konsequent stümperhafte und schlechte Arbeiten an.
    »Warum tust du das?«, hatte er ihn neulich einmal gefragt, als er ihm wieder beim Zeichnen zusah. Am Morgen in der Schule hatte ihn Caspar als »primitiv und unbelehrbar« bezeichnet, weil Johannes sich als absolut unfähig erwiesen hatte, einige Gegenstände wie Gläser und einen Krug, die Caspar auf das Pult gestellt hatte, möglichst detailgetreu abzuzeichnen.
    »Weil es niemanden etwas angeht, was ich zeichne. Ich würde es nicht ertragen, wenn der Caspar oder einer von den anderen meine Bilder sehen würde. Und der Scheiß, den wir bei ihm malen müssen, interessiert mich sowieso nicht. Die sollen mich einfach in Ruhe lassen.«
    Friedrich hatte nachgehakt: »Du verachtest den Caspar und die anderen Lehrer, nicht wahr?« Und Johannes hatte stumm genickt.
    »Aber warum? Weil sie uns verprügeln?«
    Johannes hatte mit den Schultern gezuckt. »Ich weiß es nicht. Sie können mir nichts beibringen. Nicht das, was ich wissen will. Und sie sind schwach, deshalb prügeln sie. Wie soll ich vor so einem Respekt haben!«
    Das war typisch Johannes, dachte Friedrich, der ihn gerne gefragt hätte, was er denn wissen wollte. Aber er hatte sich diese Frage verkniffen und auf später verschoben. In diesem Augenblick hatte er den Freund auch beneidet. Irgendwie hat er etwas, was ihn unterscheidet von uns anderen, etwas, das ihn stark macht, auch wenn er so ein Hänfling ist, hatte Friedrich damals gedacht. Mut war nicht das richtige Wort dafür, es war eher eine Kraft, die Friedrich nicht näher bezeichnen konnte.
    »Weckerlin!«, schnarrte es mitten in seine Gedanken hinein. Friedrich schnellte hoch. Caspar war neben das Pult getreten und fixierte Friedrich mit grimmigem Blick. »Ich beobachte dich jetzt schon seit fünf Minuten. Du träumst! Du bist mit den Gedanken nicht bei der Sache. Lies sofort an der Stelle weiter, wo die Paula gerade aufgehört hat!« Friedrich nahm das Buch hoch und lächelte in sich hinein. So leicht kriegst du mich nicht, dachte er. Trotz all seiner Überlegungen war er klug genug, mit halbem Ohr auf das monotone Vorlesen seiner Klassenkameraden zu hören. Seit dem Weggang der Oberschüler nach Ostern war Friedrich mit Abstand der Beste in der Klasse, eine Tatsache, die auch Caspar anerkennen musste. Er hatte ihm sogar widerwillig einen Platz weiter hinten, bei den besser gestellten Dorfkindern, den Braven und Fleißigen, angeboten, aber Friedrich hatte abgelehnt. Er wollte nicht mehr zurück. Sein Platz war vorne, bei Guste und Geißen-Willi und Johannes, da gehörte er jetzt hin. Er könne hinten nicht gut von der Tafel lesen, hatte er zu Caspar gesagt, und der hatte ihn mit einem merkwürdigen Blick bedacht und offen gelassen, ob er ihm das abnahm. Seitdem aber nutzte er jede sich bietende Gelegenheit aus, um Friedrich eins auszuwischen, und der Junge war von da an auf der Hut.
    »Der Rhein als Schicksalsfluss unseres Volkes ...«, las er mit monotoner Stimme vor und bemühte sich dabei, gelangweilt auszusehen, als verstehe er Caspars Aufregung überhaupt nicht. Hinter ihm hörte er leises Kichern.
    »Schon gut«, blaffte ihn Caspar an und rief den Nächsten auf. Er ging zum Lehrerpult

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