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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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geschickt hatte, in Orte mit unaussprechlichen Namen, und man hoffte, dass er nicht totgeschossen wurde, egal von wem! Das mit dem Vaterland war den meisten auch egal, man konnte sich nichts Richtiges darunter vorstellen, am wenigsten Johannes Helmbrecht aus der Stadtmühle, der für sich in seiner eigenen Logik beschlossen hatte: Da er keinen Vater habe, habe er auch kein Vaterland.
    All diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als er an diesem Frühsommermorgen die jungen Soldaten betrachtete. Sie schulterten ihre Tornister und umarmten noch einmal verlegen ihre Mütter, die plötzlich laut zu weinen begannen.
    Denen wird das mit dem Vaterland oder dem Rassenkrieg herzlich egal sein, dachte Johannes. Die wollen bloß wiederkommen. Ich steige zum ersten Mal in einen Zug und beginne etwas Neues und für die ist es vielleicht die letzte Zugfahrt. Sie werden ihr Zuhause vielleicht nicht wiedersehen. Nie mehr die Wälder und das blaue Band der Enz in unserem grünen Tal und die Kirche mit dem schlanken hohen Turm und nie mehr die Freunde und die Mutter.

17
     
    Friedrich starrte in die grünlichen, gurgelnden Fluten der Enz. Seit einigen Minuten war das Wasser trüber geworden und lief schneller, ein untrügliches Zeichen dafür, dass bald ein Floß kommen würde. Oben, auf der Enzbrücke, hatten sich etliche Schulkinder versammelt und hielten aufgeregt Ausschau. Friedrich hörte vereinzelte Rufe: »Ein Floß kommt, ein Floß kommt ...!«, und er musste grinsen. Sie würden zu spät zur Schule kommen und es würde Tatzen geben, aber das war den Kindern auch in seiner Schulzeit egal gewesen.
    Ein Floß vorbeifahren zu sehen, war immer ein Ereignis, vor allem, seit es mit der Flößerei mehr und mehr zurückging. Auf der großen Enz wurde gar nicht mehr geflößt und nur noch wenige Flöße fuhren die kleine Enz herunter. Die Fahrt ging auch nur noch bis Blaubach zum großen Sägewerk Kranz & Co. Vorbei waren die Zeiten, als die Grunbacher Flößer von ihren Fahrten nach Mannheim erzählen konnten. Glaubte man dem alten Dederer, würde es mit der Flößerei bald ganz vorbei sein. »Zu unrentabel«, hatte er auf eine entsprechende Frage von Friedrich einmal mit einer wegwerfenden Handbewegung gesagt, »viel zu unrentabel. Die Eisenbahn – darin liegt die Zukunft!«
    Die Rufe von oben wurden lauter und Friedrich konnte jetzt von Weitem den Jüngsten der Floßmannschaft erkennen, der keuchend angerannt kam, um das Stauwehr zu öffnen, das sich unmittelbar vor dem Sägewerk Dederer befand. Dann schoss das Floß heran, es war ein großes Floß, wie Friedrich sofort erkannte, gut zweihundert Meter lang, mit vielen Gestören. Auf dem ersten Gestör, dem Spitzen, stand ein großer, breitschultriger Mann.
    Friedrich kannte ihn, das war der Philipp Lutz, ein wahres Original, in dessen Familie schon in der vierten oder fünften Generation die Flößerei der Haupterwerb war. Friedrich hob grüßend die Hand, aber Lutz war ganz mit der Aufgabe beschäftigt, sein Floß sicher durch das Wehr zu bringen. Das war nämlich ein sehr kritischer Moment! Man musste das Floß exakt mit der Flößerstange lenken und darauf achten, dass der Reienbengel nach unten gedrückt wurde, damit der Spitzen in die Höhe ging und sich die Gestöre nicht aufeinander schoben. Zwei jüngere Flößer hatten diese Aufgabe übernommen und selbst aus ein paar Metern Entfernung konnte man sehen, wie die Muskeln der Männer angespannt waren und die Adern auf den wettergegerbten Unterarmen dick hervortraten.
    Es waren ganz eigene Leute, die Grunbacher Flößer, imposante Erscheinungen mit ihren weit über die Knie reichenden Stiefeln. Und sie waren stolz auf ihre Arbeit, eine harte und gefährliche Arbeit! Beim Anbinden der Flöße standen die Männer oft den ganzen Tag im Wasser. Machte man einen Fehler, wurden beispielsweise die Flöße schlampig zusammengebunden, konnte sich das später böse rächen und es ging um Leib und Leben.
    Die Grunbacher Flößer waren zudem für ihren derben Humor bekannt und auch dafür, sehr trinkfest zu sein. Friedrich suchte mit den Augen die folgenden Gestöre ab, wo die Flößer ihre so genannten Hinterefürsäcke mit dem Vesper abgelegt hatten, ob er einen der berüchtigten Eimer mit Most entdecken konnte, aus dem sich die Flößer während der Fahrt reichlich bedienten. Der Vater hatte früher erzählt, die Fahrten durchs Neckartal seien deshalb so beliebt, weil man sich dort die Eimer mit Wein füllen konnte.
    Das Floß hatte

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