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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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knuffen und als »altes Schandmaul« zu bezeichnen, und sie waren lachend und prustend übereinander hergefallen.
    Aber Johannes’ Frage ließ Friedrich nicht mehr los. Immer wieder grübelte er darüber nach, warum er sich tatsächlich das Dederer-Sägewerk ausgesucht hatte. Lag es wirklich nur daran, dass er sich Hoffnungen machte, weil der alte Dederer seinen Vater gekannt und wohl auch geschätzt hatte? Er hatte keine Antwort darauf gefunden und so war er auch an diesem Morgen der Frage ausgewichen und verwies auf den Namen Weckerlin, der beim Herrn Dederer sicher noch einen guten Klang hatte, trotz allem, was vorgefallen war.
    »Das will ich wohl meinen«, hatte Louis Dederer geantwortet und bedächtig zwei Gläser randvoll mit starkem Schnaps gefüllt. »Da, trinken wir auf deinen Vater, der ein feiner Kerl war!«
    Friedrich hatte den Schnaps in einem Zug hinuntergekippt und sich tapfer bemüht, den brennenden Husten zu unterdrücken, denn er war so etwas nicht gewohnt. Louis Dederer hatte gleich wieder nachgeschenkt. »Und trinken wir auf dich! Dein Vater wäre stolz, könnte er dich jetzt sehen. Bist ein strammer Bursche geworden. Na, die Mädchen werden sich die Hälse verrenken nach dir.« Und er hatte Friedrich mit einem meckernden Lachen in die Seite gestoßen und gleich noch einmal eingeschenkt.
    Friedrich hatte sich verzweifelt überlegt, wie er zur Stadtmühle zurückkommen sollte, falls das Gespräch noch länger ging, denn der Schnaps stieg ihm schnell zu Kopf. Also stimmte es, was sich die Leute erzählten und was auch die Ahne immer wieder andeutete – Louis Dederer war ein Trinker! Die gelbe Färbung seiner Augäpfel und das Zittern seiner Hände, das jetzt langsam nach einigen Schnäpsen nachließ, war Friedrich gleich bei der Begrüßung aufgefallen und der weitere Verlauf der Unterhaltung bestätigte seinen Verdacht. Louis Dederer hatte weitergetrunken an diesem Vormittag, hatte sich immer und immer wieder nachgeschenkt und gar nicht registriert, dass sein Gegenüber das Glas nicht mehr anrührte. Er hatte dann wehmütig begonnen, von den alten Zeiten zu schwärmen, von seiner Freundschaft zu Friedrichs Vater, und seltsamerweise war seine Aussprache ganz klar gewesen, nur der feuchte Glanz seiner Augen verriet, dass er immer betrunkener wurde.
    Friedrichs Blick schweifte in der Zwischenzeit über die gediegene Einrichtung des Büros. Neben dem schweren Eichenschreibtisch, hinter dem Louis Dederer immer mehr in sich zusammensank, stand ein großer Schrank mit vielen Schubladen, in dem wohl die Rechnungen und die Geschäftskorrespondenz aufbewahrt wurden.
    An der gegenüberliegenden Wand hing ein großes Bild, das einen älteren Herrn mit gepflegtem Backenbart darstellte, wahrscheinlich war es der Vater von Louis Dederer, der das Sägewerk aufgebaut und auch das Wohnhaus drüben errichtet hatte. Daneben waren noch einige Fotografien angebracht, die das Sägewerk und den Polderplatz zeigten. Sie schienen neueren Datums zu sein und trugen am rechten unteren Rand den Namen des Königlichen Hoffotografen Blumenschein. Flüchtig hatte Friedrich daran denken müssen, wie der Herr Blumenschein einmal ein Bild von ihm und Johannes gemacht hatte, als sie auf dem Weg zum Badhotel waren, um Heidelbeeren zu verkaufen. Er hatte ihnen sogar jeweils ein Exemplar geschenkt, das ihnen der Koch vom Badhotel mit einigen launigen Bemerkungen überreicht hatte. Johannes war ganz stolz gewesen, aber Friedrich hatte es der Mutter nur stumm in die Hand gedrückt, und als sie ihr Erstaunen und ihre Freude bekundet hatte, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Tu’s weg. Ich will es nie mehr sehen. Es ist für dich.« Sie hatte ihn verständnislos angeschaut und das Foto in der Kommode verstaut, ganz hinten zwischen ihrer Leibwäsche. Über das Bild hatten sie nie mehr gesprochen.
    Vor die Wand mit den Fotos hatte man im Büro einen Tisch und einen kleinen Rollschrank gerückt, eine Rechenmaschine und ein Stapel kleiner brauner Tüten befand sich darauf. Das waren die Tüten, in denen die Arbeiter ihren Lohn ausgehändigt bekamen. Das wusste Friedrich wohl, und bevor er den Mund aufmachen konnte und die sentimentalen, alkoholgeschwängerten Erinnerungen des alten Dederer mit der ungleich wichtigeren Frage nach dem zu erwartenden Lohn unterbrechen konnte, hatte sich die Tür geöffnet und Elisabeth Dederer war eingetreten!
    Elisabeth, genannt Lisbeth, war zwei Jahre älter als Friedrich. In der Schule

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