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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Ihre Rechnung Schuhe kaufen kann. Ich will anständig arbeiten hier und dafür brauche ich feste Schuhe. Ziehen Sie mir einfach das Geld in Raten vom Lohn ab.«
    Für einen Moment hatte Stille geherrscht, nur eine frühe Wespe war mehrmals mit einem leisen dumpfen Aufschlag gegen die Fensterscheibe geprallt.
    Dann hatte Louis Dederer erstaunlich klar gesagt: »Bist ja ein ganz Schlauer. Also Schuhe soll ich dir gleich zum Einstand kaufen! Und was soll später sein?«
    Immer noch hatte Friedrich seinen Blick festgehalten, hatte fast hypnotisch in diese trüben Augen geschaut. Auf einmal hatte Louis Dederer mit der flachen Hand auf die Schreibtischplatte geschlagen, zum zweiten Mal während einer Begegnung mit ihm, und geschrien: »Hol mich der Teufel, ich mach’s, du unverschämter Kerl! Weiß selber nicht, warum! Also geh zum Schultheiß und kauf dir ein neues Paar Schuhe, richtig feste mit Eisenkappen vorne. Er soll’s auf mich schreiben. Sag ihm, der Dederer bezahlt’s. Ich zahl’s, nichts wird abgezogen. Und jetzt geh, du verfluchter Hund!«
    Sein Kopf war wieder etwas nach rechts gekippt, als hätte ihn diese Entscheidung die letzte Kraft gekostet, und Friedrich war lautlos hinausgeschlichen.
    Er erinnerte sich immer wieder gerne an diese Episode, wie auch jetzt. Das Floß war schon lange an ihm vorbeigezogen, die Gattersäge fing an zu kreischen und er machte sich auf den Weg zur so genannten Wanne, um mit dem langen Haken die Stämme aus dem Wasser zu ziehen und auf das Förderband zu hieven. Die neuen Schuhe waren schon gut eingelaufen und die Eisenkappen schimmerten im warmen Sonnenlicht. Immer wieder betrachtete er sie mit Stolz. Er pflegte sie, wusch sie abends sorgfältig am Spülstein ab und schlich am Morgen in den Maschinenraum, um ein paar Tropfen Öl abzuzweigen. Er polierte sie, bis sie glänzten, ungeachtet der Tatsache, dass sie bald wieder mit einer Schicht aus Sägemehl und Schmutz überzogen sein würden.
    Louis Dederer hatte die Schuhe, ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren, bezahlt, und Friedrich kam es so vor, als betrachte er ihn aufmerksamer als die anderen, wenn er frühmorgens kurz nach Arbeitsbeginn durch das Sägewerk wanderte, um das zu tun, was er »nach dem Rechten sehen« nannte. Diese Besuche wurden immer kürzer, immer schneller zog es ihn wieder hinüber zum Kontor, zur Flasche. Friedrich ballte oftmals insgeheim die Fäuste, wenn er das mit ansehen musste. Gerade jetzt hätte es einen geschäftstüchtigen und umsichtigen Chef gebraucht!
    Der Krieg forderte immer mehr seinen Tribut, die Menschen hungerten und niemand dachte mehr ans Bauen. Trotzdem ging es vielen Sägewerken gut, der Zinser beispielsweise lieferte Grubenholz hinauf in den Norden, schickte Bretter für die Schützengräben an die Westfront, sägte Holz für Telegrafenmaste. Das Geschäft schien noch besser zu laufen als sonst und die Frau Zinser fuhr auch in Kriegszeiten mehrere Male im Jahr in den Urlaub, an ferne und exotische Orte, deren Namen die Grunbacher nicht einmal aussprechen konnten. Der Diener packte dann jedes Mal die braunen Lederkoffer in das Automobil, bestaunt von der hungrigen Dorfjugend, die mehr denn je in diesem Vorgang ein Schauspiel sah, das mit ihrer Welt gar nichts zu tun hatte, gerade deshalb aber umso spannender war.
    Und der Dederer nutzte diese Möglichkeit nicht, versoff seinen Verstand, sein Geschäft, seine Zukunft! Friedrich hätte ihn manchmal schütteln können.
    Und durch all dieses Unglück hindurch schritt Lisbeth mit ihren eckigen Bewegungen, seltsam unbeteiligt an allem, was um sie herum geschah, und ständig den anzüglichen Bemerkungen von Franz Übele ausgesetzt, der sein eigenes Spiel spielte.
    Aber Friedrich hatte auch bemerkt, dass bei ihren flüchtigen Begegnungen, beim Aushändigen der Lohntüte etwa, ihre Augen länger auf ihm, Friedrich, ruhten, als es zu ihrer gespielten Gleichgültigkeit passte! Wenn sich ihre Hände dann zufällig berührten, wurde sie knallrot und senkte blitzschnell den Kopf mit den hervorquellenden Augen, bis er nach dem üblichen »Danke« und einem leisen »Adieu, Lisbeth« hinausgegangen war.
    Mit der Zeit suchte er förmlich diesen körperlichen Kontakt, es gefiel ihm, sich einer Macht zu versichern, die er so noch nie erlebt hatte, der Macht über einen anderen Menschen!
    Möglichkeiten, dachte er immer wieder und gratulierte sich zu seinem Entschluss, zum Dederer zu gehen. Er musste nur aufpassen, dem Vorarbeiter Übele nicht

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