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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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sagen und sah ihn dann unter seinen buschigen Augenbrauen missbilligend an. »Das soll eine gerade Linie sein? Sie arbeiten zu schnell, lassen sich nicht genügend Zeit.«
    Und das hatte auch gestimmt, Johannes wusste es selbst.
    Er war zu ungeduldig am Anfang gewesen, die Arbeit gefiel ihm nicht, er wollte doch malen, malen, nichts als malen. Und dann hatte er in dieser großen grauen Halle sitzen müssen, zusammen mit den Lehrlingen aus dem ersten, zweiten und dritten Jahr und musste Metallstückchen aus Kupfer und Messing bohren, schleifen, feilen.
    Allerdings war es besser geworden und kurz vor Ende seiner Ausbildung, die er bald mit der Gesellenprüfung abschließen würde, gab es viele Dinge in seinem Beruf, die ihm richtig Freude machten. Vor allem, wenn er einmal in der Woche in die Goldschmiedeschule in der Sankt-Georgen-Steige gehen musste, empfand er jedes Mal eine heimliche Vorfreude. Dort durften sie zeichnen, diese Entwürfe machen, von denen man am Anfang gesprochen hatte, und Johannes gefiel es, auf das weiße Papier eine Vision von Schönheit zu zeichnen, die er dann später in der Arbeit umsetzen konnte.
    Er schuf etwas Neues und das war doch genauso gut, als wenn er den Katzenbuckel oder ein Gesicht entstehen ließ. Und seine Entwürfe waren gut, das wusste er, die Lehrer in der Goldschmiede sagten es ihm und auch Herr Wackernagel, der ihn in seiner zurückhaltenden Art lobte und alle seine Entwürfe sorgfältig verwahrte.
    Ja, er hatte Glück gehabt, großes Glück. Manche in Grunbach konnten es gar nicht fassen, dass der Johannes Helmbrecht aus der Stadtmühle nach Pforzheim in die Goldschmiedelehre ging. Es hatte anfangs sogar wilde Spekulationen gegeben, wie das denn sein könne. Vom Abkommen mit dem Oberlehrer Caspar wusste bis auf die Ahne und die Weckerlins niemand etwas. Bald war dann auch das Interesse erloschen, denn die Leute hatten andere Sorgen.
    Mit den übrigen Lehrlingen kam er gut aus, trotzdem ahnte er, dass sie in ihm einen Sonderling sahen, einen, den sie nicht so recht einordnen konnten. Zwar rückten sie willig zur Seite, wenn er sich in der Mittagspause zu ihnen auf die Bank setzte, und bezogen ihn auch immer wieder in ihre Unterhaltungen oder derben Späße ein, aber irgendwie gehörte er nicht richtig dazu. Manche rümpften auch die Nase wegen der vielfach gestopften Hemden und der speckig glänzenden Jacke, die an den Ellenbogen schon fast durchgescheuert war. Zudem war es noch diese ungeklärte Beziehung zum Herrn Direktor selbst, die ihn ausschloss.
    Gleich am ersten Tag, damals vor drei Jahren, hatte es beträchtliches Aufsehen erregt, als einer der Jungspunde, ein Lehrling im ersten Jahr, außerdem ein merkwürdig ärmlich aussehender Kerl, zum Herrn Direktor Armbruster beordert wurde. Zwar war die Audienz sehr kurz gewesen, Direktor Armbruster hatte sie anberaumt, ohne selbst genau zu wissen, warum. Aber immerhin war der junge Mann ein Protegé seines angeheirateten Vetters, der von »außerordentlichem Talent« geredet hatte, und in diesem Sinne hatte er dann einige Worte an diesen Johannes Helmbrecht gerichtet, dieses schmale Kerlchen mit den merkwürdig hellen Augen.
    Es hatte Gerede gegeben, was Herr Armbruster nicht wusste und was ihm sicher auch nicht recht gewesen wäre, und selbst Herr Wackernagel war verunsichert und wusste nicht genau, wo er diesen jungen Menschen einordnen sollte. Dieser Umstand ließ ihn besonders aufmerksam gegenüber dem neuen Lehrling werden, aufmerksam, aber nicht unfreundlich. Und dann hatte sich dieses magere Bürschlein tatsächlich als eine wirkliche Begabung erwiesen. Meister Wackernagel konnte sich nicht entsinnen, schon einmal einen Lehrling gehabt zu haben, der so rasch die Grundsätze des räumlichen Zeichnens beherrschte und vor allem eine sprühende Fantasie entwickeln konnte, wenn es um das Entwerfen neuer Schmuckstücke ging! Genauso hatte er sich auch gegenüber Herrn Armbruster geäußert, der dabei zufrieden genickt hatte. Also hatte sein Vetter Caspar recht gehabt und die Investition hatte sich gelohnt. »Wir werden den jungen Mann im Auge behalten«, hatte er zu Herrn Wackernagel gesagt und dieser hatte es dann in einer etwas abgemilderten Form Johannes erzählt.
    Man setzte Hoffnungen auf ihn, das wusste Johannes, und auch das war eine Form von Glück, die er früher so nie gekannt hatte.
     
    An diesem trüben Herbstabend schritt er kräftig aus, denn es war kühl und windig und nasser Nebel hing bedrohlich über

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