Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)
und Interessen. Neefe, der als Mitglied des Großmann-Theaters nach Bonn gekommen war, wurde zum Hoforganisten ernannt und war schließlich sogar als Dirigent und Regisseur für die Aufführung italienischer Opern verantwortlich. Der Vertrag zwischen Großmann und dem Hof sah außerdem vor, dass die Truppe auch anderswo auftreten konnte – was wiederum die Kosten für Bonn senkte. Neefe war deshalb häufig auf Tournee und musste dann in Bonn vertreten werden.
Das war die Chance für den jungen Beethoven, der schon im Alter von zehn Jahren für Neefe einspringen durfte und im Juni 1782 – mit elfeinhalb Jahren – offiziell zu seinem Vertreter ernannt wurde. Zunächst wurde er nicht bezahlt, was der damaligen Praxis kollektiver Arbeitsverträge entsprach. Junge Musiker – sogenannte «Akzessisten» – mussten eine Art Probezeit durchlaufen, bevor sie eine bezahlte Stelle bekamen, in der Regel erst beim Tod eines älteren Musikers. Der Kandidat hatte ein demütiges Gesuch an den Kurfürsten zu richten, auf das er dann eine gnädige Antwort erhielt. Das Problem war allerdings, dass nach jedem Ausfall auch fest angestellte Musiker Anspruch auf Beförderung erhoben, weshalb es jedes Mal zu ziemlich unkollegialen Kämpfen kam, bei denen die Jüngeren oft gegen eine Seilschaft von Veteranen und Karrieristen den Kürzeren zogen. Beethoven konnte erst im Frühjahr 1784 sein erstes Gesuch einreichen. Die Aussichten waren günstig, doch am 15. April 1784 starb der Kurfürst plötzlich, und wegen des dadurch verursachten Stillstands ließ die positive Antwort auf sich warten. Ab Juni 1784 war Beethoven dann aber offiziell zweiter Hoforganist und erhielt ein Jahresgehalt von 150 Gulden, so dass sich das Grundeinkommen der Familie Beethoven um die Hälfte erhöhte.
Ganz allmählich wurde Beethoven zum Vollzeit-Musiker. Morgens spielte er bei Messen und anderen kirchlichen Feiern die Orgel; vormittags repetierte er mit Sängern, nachmittags und abends wurde er als Continuo-Spieler bei Opernaufführungen und Konzerten eingesetzt. Vor allem das Korrepetieren war kein Zuckerschlecken, weil es noch keine Klavierauszüge gab; Beethoven musste die Opernpartituren «a vista» aufs Klavier übertragen – gerade dabei konnte er aber außerordentlich viel lernen. Er trainierte nicht nur das lesende Erfassen von Notentexten, sondern verbesserte vor allem seine Kenntnis der musikalischen Sprache. Wenn er später gefragt wurde, wie er es gelernt habe, auch die schwierigsten Klavierpassagen vom Blatt zu spielen, und warum er schneller spielen als ablesen könne, antwortete er, dass es gar nicht notwendig sei, alle Noten zu lesen. Beim schnellen Erfassen des Notentexts werde man nicht durch die zahlreichen Druckfehler abgelenkt. Dieses Erfassen gelingt aber nur, wenn man mit der jeweiligen «Sprache» vertraut ist.
Solch anspruchsvolle Aufgaben hätte Beethoven kaum übernehmen können, hätte er nicht ein gesundes Selbstvertrauen besessen. Als Zwölfjähriger soll er es zum Beispiel gewagt haben, das vollständige Ensemble aus Chor und Orchester mit einer ausufernden improvisierten Introduktion zu einem Credo aufzuhalten. Noch erstaunlicher ist eine weitere Episode: Der junge Musiker soll den Bassisten Ferdinand Heller, der doch als tonfester Sänger bekannt war, mit einer ad hoc improvisierten und höchst komplexen Begleitung völlig aus dem Ton und aus dem Takt geworfen haben, worauf ihn der Kurfürst persönlich ermahnte, sich mehr zurückzuhalten. Wer so etwas fertigbringt, ist nicht nur musikalisch sehr beschlagen, sondern hat vor allem auch viel Mut.
Auf frühes musikalisches Selbstbewusstsein deutet auch die Tatsache, dass in dieser Zeit erste Kompositionen Beethovens im Druck erschienen. Die Neun Variationen auf einen Marsch von Dressler (WoO 63) und die drei «Kurfürstensonaten» (WoO 43) hat der Elfjährige offensichtlich auf Anregung seines Lehrers geschrieben. Von Neefe stammt die Widmung für den Kurfürsten – in dem hochtrabenden Stil, den die Etikette verlangte –, und es war sicher auch seine Idee, Beethoven mit einer Variationsreihe debütieren zu lassen. Im 18. Jahrhundert begann die Kompositionsausbildung üblicherweise damit, dass man den Schüler neue Melodien zu einem vorgegebenen Bass erfinden ließ, weil die Variation nun einmal als das wichtigste kompositionstechnische Mittel galt. Es ist zum Beispiel bekannt, dass Vater Mozart den jungen Wolfgang Menuette zu gegebenen Unterstimmen improvisieren ließ
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