Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)
und dass Carl Philipp Emanuel Bach, Neefes Leitstern in Fragen des Klavierspiels, zu didaktischen Zwecken eine Folge von Sonaten «mit variierten Reprisen» herausgegeben hat. Außerdem war Beethoven auf diesem Gebiet schon zu Hause. Das Niederschreiben von Variationen baute auf den improvisatorischen Fähigkeiten auf, die er sich sehr früh angeeignet hatte – man denke an die Musizierstunden mit Pfeiffer und Rovantini in der elterlichen Wohnung. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass er in den Anfangsjahren mehr Variationsreihen als Sonaten geschrieben hat. Der Komponist Beethoven brauchte Zeit, um aus dem Schatten des Pianisten Beethoven herauszutreten.
Zweifellos war es auch Neefes Idee, den eher simplen Marsch von Dressler als Thema für die Variationsreihe zu wählen. Das Thema erfüllt alle Voraussetzungen: Es ist klar strukturiert, bewegt sich harmonisch und tonal in einem engen Rahmen, hat einige prägnante Rhythmen und vor allem wenig Ausdrucksgehalt. Auf diese Weise vermittelte Neefe seinem Schüler gleich ein wesentliches und zugleich scheinbar paradoxes Gesetz der Kompositionslehre: Es ist besser, gute Variationen über schwache Themen zu schreiben als umgekehrt, weil gute Themen keine Veränderungen oder Hinzufügungen vertragen.
Beethovens Anfänge als professioneller Musiker standen insofern unter einem guten Stern, als er durch Neefe die vielen Facetten des Berufs in der Praxis kennenlernte. Im Gegensatz zum jungen Mozart, der durch zahlreiche Reisen und vielerlei Kontakte auf höchster Ebene einen idealisierten, verzerrten Eindruck von der Musikwelt bekommen hatte, lebte und überlebte der junge Beethoven im rauen Musikerbiotop eines Provinzorchesters. Zu seinem Glück war aber das technische und musikalische Niveau des Bonner Ensembles sehr hoch. Unter der Leitung der Italiener Lucchesi und Mattioli hatte sich die Bonner Hofkapelle nämlich zu einem der besten deutschen Orchester gemausert. Sie spielte «modern», das heißt mit viel Sinn für Artikulation und Deklamation, starken Kontrasten und differenzierter Bogenführung. Trotz sehr hoher Orchesterdisziplin – in dieser Zeit noch eher ungewöhnlich – zeichneten sich ihre Aufführungen durch Leidenschaft und Sensibilität aus. In einem 1783 verfassten Bericht über die Bonner Hofkapelle, wiederum in Cramers Magazin der Musik, wagte Neefe sogar einen Vergleich mit dem Mannheimer Orchester, zu jener Zeit zweifellos das beste Europas. Beethoven konnte also schon früh ein feines Gespür für die Möglichkeiten des Orchesterklangs entwickeln.[ 30 ]
Der junge Beethoven führte das Leben eines Hofmusikers. Wahrscheinlich liebte er es, die kurfürstliche Galalivree zu tragen: meergrüner Frackrock, Weste mit goldenen Knöpfen, grüne Kniehose und weiße Seidenstrümpfe, dazu ein Degen mit silbernem Gehänge. Beethoven war nicht sehr groß, aber schlank und kräftig gebaut. Sein pockennarbiges Gesicht hatte eine braune Farbe; er hatte dunkles Haar, schwarze Augenbrauen und einen durchdringenden Blick, was ihm den Spitznamen «Spangol» (Spanier) einbrachte. Der Heranwachsende war stolz auf sich und streifte gern elegant und modisch gekleidet durch die Stadt. Sein Status als junger Berufsmusiker im Dienst des Hofes verlieh ihm Selbstbewusstsein, die Musik war für ihn das Mittel zur Selbstverwirklichung geworden.
Im Herbst 1783 verließ Beethoven zum ersten Mal die vertraute Bonner Umgebung und reiste in Begleitung seiner Mutter in die Niederlande. Die Reise hatte hauptsächlich private Gründe: Mutter und Sohn wollten Verwandte in Rotterdam besuchen. Außerdem bot sich aber dem jungen Ludwig die Gelegenheit, einige Konzerte zu geben; laut Fischerschem Manuskript versprachen sich die Beethovens davon hohe Einnahmen. Einer der Rotterdamer Bekannten berichtete später, dass Beethoven in den Häusern vieler einflussreicher Personen auftrat, die Zuhörer in Erstaunen versetzte und mit wertvollen Geschenken bedacht wurde. Im Gegensatz zu den Mozarts einige Jahrzehnte zuvor haben die Beethovens allerdings die Heimatfront nicht mit Siegesmeldungen versorgt. Mehr Einzelheiten über diese Auftritte sind deshalb nicht bekannt. Wir wissen nur von einem wichtigen Konzert, das Beethoven am 23. November 1783 in der statthalterlichen Residenz in Den Haag gegeben hat. Eine wiederentdeckte Rechnungsabschrift beweist, dass Beethoven an diesem Tag ein Klavierkonzert spielte, begleitet vom Orchester des Statthalters Wilhelm V. von Oranien-Nassau unter der Leitung
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