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Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)

Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)

Titel: Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Caeyers
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des großen Kongresses agieren, der über die Gestalt des postnapoleonischen Europa entscheiden sollte. Nicht ohne Stolz konnte der Gastgeber Franz I. außer dem russischen Zaren sechs Könige, mehr als hundert Prinzen, Herzöge, Reichsfürsten und Reichsgrafen und etwa zweihundert Diplomaten – jeweils samt Hofstaat oder Dienern – in seiner Hauptstadt begrüßen und in der für diese Gelegenheit in ein Luxushotel verwandelten Hofburg beherbergen. Man scheute weder Kosten noch Mühen. Auch der Kaiser, als typischer Habsburger eigentlich der Geiz in Person, hatte davon überzeugt werden können, dass Österreich nicht die einmalige Gelegenheit versäumen durfte, sich der Welt von seiner besten Seite zu zeigen – vor allem auf den Gebieten der Kultur, des Repräsentativen und des Vergnügens. Den hohen Gästen wurde ein volles Unterhaltungsprogramm geboten: Konzerte, Opern- und Theatervorstellungen, Bankette, Paraden, «Redouten» (elegante Maskenbälle) und gewöhnliche Bälle, feierliche Messen, Jagden, Schlittenfahrten, Reiterspiele und Feuerwerke. Dazu ein perfekter Service: Ein Heer von Stellmachern, Dekorateuren, Schneidern, Köchen und anderen Spezialisten sorgte für Bequemlichkeit und körperliches Wohlbefinden. Da sich die Gäste auch außerhalb der Hofburg in einer Atmosphäre von Vornehmheit und Eleganz bewegen sollten, hatte das Organisationskomitee für die österreichischen, ungarischen und böhmisehen Adligen Wiens eine wichtige Aufgabe vorgesehen. Sie öffneten ihre prachtvollen Paläste für zahlreiche gesellschaftliche Ereignisse; zum Beispiel feierte die russische Delegation ihre Feste im Palais Rasumowsky. Die aparte Schönheit der adligen Gastgeberinnen bezauberte die Kongressteilnehmer; die meisten dieser Damen waren hochgewachsen und schlank, die typische Mischung aus magyarischen, slawischen und italienischen Gesichtszügen verlieh ihnen eine besondere Ausstrahlung, und man lobte ihren Stil und ihr Taktgefühl. Allerdings wurde die Fürstin Gabrielle Auersperg-Lobkowitz («La beauté sentimentale») verdächtig oft in der Nähe des Zaren gesehen, der preußische König machte der Gräfin Julie Zichy-Festetics («La beauté céleste») den Hof, und auch das Verhalten der Fürstin Maria-Theresia Esterházy («La beauté étonnante») und der Gräfinnen Sophie Zichy-Széchenyi («La beauté triviale»), Caroline Széchenyi («La beauté coquette») und Gabriele Saurau («La beauté du diable») war nicht immer über jeden Zweifel erhaben.
    Doch nicht nur VIPs waren nach Wien gekommen. Ähnlich wie bei vergleichbaren Mammutveranstaltungen in unserer Zeit war die Stadt voll von Leibwächtern, Lobbyisten, Geschäftemachern, Straßenkünstlern, Astrologen und Prostituierten; alles schwärmte um die Honigtöpfe des Kongresses. Beim ersten großen Ball im Redoutensaal, zu dem nicht weniger als dreitausend Gäste erwartet wurden, verkauften die Portiers die entgegengenommenen Eintrittskarten gleich auf dem Schwarzmarkt im Innenhof weiter, so dass sich schließlich mehr als sechstausend Menschen an den Büfetts drängten. Am nächsten Morgen stellte man fest, dass etwa tausendfünfhundert Stück nagelneues Silberbesteck gestohlen worden waren.
    Das österreichische Kaiserhaus bezahlte das alles. Insgesamt soll die Imagekampagne schätzungsweise 20 Millionen Gulden verschlungen haben, was in heutiger Währung etwa einer knappen Milliarde Euro entspricht. Nicht zufällig machte in Wien das folgende Bonmot die Runde: «Der König von Bayern trinkt für alle. Der König von Dänemark spricht für alle. Der König von Württemberg ißt für alle. Der Zar liebt für alle. Der Kaiser zahlt für alle. Der König von Preußen denkt für alle, und Talleyrand beschwindelt alle.»[ 132 ] Letztlich waren es natürlich die Bürger, die für den Spaß aufkommen mussten. Erst hatte sich durch die Abwertung von 1811 ein großer Teil der Ersparnisse und Vermögen in Luft aufgelöst, und nun kam am 1. Januar 1815 auch noch eine Steuererhöhung um fünfzig Prozent. Man tröstete sich mit dem Gedanken, dass ein Weltkongress immer noch billiger war als ein Krieg – und keine Menschenleben kostete.
    Beethoven erkannte schnell, dass diese Hochkonjunktur von Pracht und Prunk eine großartige Gelegenheit bot, die Aufmerksamkeit ganz Europas auf sich zu lenken. Das gelang ihm hervorragend, auch dank seines guten Verhältnisses zu Fürst Ferdinand von Trauttmansdorff, der als «Oberhofmeister» dem Organisationskomitee

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