Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)
Kost und Logis erhalten. Er vergaß dies nie und empfand es als selbstverständliche Pflicht, nun seine eigenen Kenntnisse und Erfahrungen an junge Komponisten, Sänger und Sängerinnen weiterzugeben. Es ist bekannt, dass er etwa hundert junge Musiker unterrichtet hat, und zwar in der Regel kostenlos; nur von Kindern reicher Eltern verlangte er ein Honorar. Die Liste seiner Schüler ist beeindruckend: Neben zahlreichen adligen Unbekannten und einigen lokalen Größen gehörten auch Carl Czerny, Johann Nepomuk Hummel, Franz Liszt, Giacomo Meyerbeer, Ignaz Moscheles und Franz Schubert dazu.
Beethovens Unterrichtsstunden fanden in unregelmäßigen Abständen statt, weil der junge Musiker sehr viel anderes zu tun hatte. Lehrer und Schüler arbeiteten konzentriert, allerdings ging Salieri eher intuitiv als methodisch vor. Er legte Beethoven Texte von Metastasio oder anderen Italienern zur Vertonung vor, korrigierte Fehler, notierte über Beethovens Entwürfen alternative Lösungen und machte ihn so auf anschauliche, praxisorientierte Weise mit den Finessen der Gattung bekannt. Es fällt auf, dass er ausschließlich italienische Texte verwendete, da er das Deutsche auch nach mehreren Jahrzehnten in Wien nur unzulänglich beherrschte; ihm kam es vor allem auf bestimmte Grundprinzipien und -regeln der Textvertonung an, die er für universal anwendbar hielt. Beethoven tat sich am Anfang ziemlich schwer mit den Besonderheiten der italienischen Prosodie. Dies lag hauptsächlich an seinen mangelhaften Sprachkenntnissen – ein Schwachpunkt, den er erst 1813 durch Privatstunden bei dem Universitätsprofessor Anton Filippi beseitigte.
Das erste Ziel war immer die Übereinstimmung des musikalischen Rhythmus mit dem Rhythmus des Textes. Salieri hielt sich dabei an die bewährte Methode, den Text so lange zu deklamieren, bis sich eine Melodie gewissermaßen aufdrängte, nach dem alten Motto «gut gesprochen ist halb gesungen». Im nächsten Schritt ging es darum, die noch unfertige oder erst in vagen Umrissen erkennbare Melodie dem Sinn des Textes entsprechend auszugestalten (zum Beispiel mit auffallend hohen oder in Sonderfällen tiefen Tönen für besonders bedeutsame Wörter), wobei auch die Interpunktion zu beachten war; ein Ausrufezeichen verlangt nun einmal nach einer anderen melodischen Wendung als ein Fragezeichen. Schließlich waren noch praktische Regeln für die Platzierung von (Atem-)Pausen und die Behandlung von Vokalen anzuwenden. Am Rand eines Übungsheftes notierte Beethoven einen wichtigen Grundsatz: «U, I, O sind unbequeme Vokale, wo viel Noten oder Koloraturen zu vermeiden sind.»[ 52 ]
Nach drei Jahren wurden die Studien beendet. Salieri ließ Beethoven noch drei «Meisterstücke» schreiben: die Arie «No, non turbati» für Sopran (WoO 92a), das Duett «Ne’ giorni tuoi felici» für Sopran und Tenor (WoO 93) und das Terzett «Tremate, empi, tremate» für Sopran, Tenor und Bass op. 116. Er hat alle drei gelesen, korrigiert und für gut befunden. Nur das Terzett hat es später bis auf die Bühne geschafft; die beiden anderen wurden nie vollständig orchestriert.
Der Unterricht bei Salieri war zweifellos sehr fruchtbar, eine wesentliche Schwierigkeit musste Beethoven aber aus eigener Kraft überwinden. Salieri war zwar ein Komponist mit einem ausgeprägten Bühneninstinkt und konnte dramatische Szenen fantasievoll in Musik umsetzen. Eine kohärente musikalische «Erzählung» zu schaffen gelang ihm dagegen nicht; seine Musik kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Auf formalem Gebiet erwies sich Mozart immer wieder als der Überlegene. Mozart hatte all das, was den später sogenannten Wiener klassischen Stil in der Instrumentalmusik auszeichnet – von ihm selbst vor allem in den Klavierkonzerten und der Kammermusik zur Vollkommenheit gebracht –, auf die Oper übertragen. Seine Arien und Ensembles sind perfekt aufgebaut, auskomponiert und proportioniert, sie «funktionieren» selbst dann, wenn man kein Wort versteht. Auf diesem wichtigen Teilgebiet der Opernkomposition konnte Beethoven von Salieri nichts lernen; hier musste er bei der Arbeit an Leonore selbst das richtige Gespür entwickeln, mühevoll und manchmal auf Umwegen.
Was Salieri ihm bieten konnte, hat er genutzt. Er empfand vor seinem Lehrer immer großen Respekt und zeigte ihm auch seine Dankbarkeit; 1798 widmete er ihm die Violinsonaten in D-Dur, A-Dur und Es-Dur op. 12. In dieser Hinsicht steht Salieri auf derselben Stufe wie ein anderer
Weitere Kostenlose Bücher