Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)
Gäste hatte errichten lassen; schuld war übrigens die Heizungsanlage, die ironischerweise eine neue französische Erfindung war. Kaiser Franz versuchte den niedergeschlagenen Hausherrn mit den Worten zu trösten: «Das hätt mir genauso passiern können. I hab doch die gleiche Heizung.» Und er fügte hinzu: «Man sollt die Finger von allem Französischen lassen.»[ 136 ]
Wenige Monate später schrieb Beethoven an seinen Anwalt Johann Nepomuk Kanka: «also alles ist Wahn, Freundschaft, Königreich, Kaiserthum, alles nur Nebel, den jeder Windhauch vertreibt, und anders gestaltet!!»[ 137 ]
Aber am Rande der Wüste wachsen die schönsten Pflanzen. Über den Kongress-Kitsch, den Beethoven in den Jahren 1814 und 1815 produzierte, mögen Kenner verständnislos den Kopf schütteln (wobei hinter der Ablehnung oft eine gewisse moralische Empörung steckt), doch die Beschäftigung mit dieser Art von Arbeiten hatte auch eine wichtige reinigende Funktion. Als Komponist war Beethoven 1812 an einem Punkt angelangt, an dem er nicht weiterkam, und zum zweiten Mal in seiner Laufbahn stand er kurz davor, einen «neuen Weg» einzuschlagen. Auch 1802 hatte er diesen anderen Weg aber nicht sofort finden können. Er musste in seinem Geist gewissermaßen erst Platz für das Neue schaffen und eine kreative Pause einlegen, was für schöpferische Menschen ein schwer zu lösendes Problem ist, da sich die Fantasie kaum bändigen oder gar zum Schweigen bringen lässt. Deshalb war es für ihn unerlässlich, sich eine Zeitlang Aufgaben wie der Überarbeitung eines älteren Werkes – seiner Leonore – oder Auftragswerken wie der monumentalen Kongressmusik widmen zu können, die ihn in Regionen weitab von seiner eigenen und eigentlichen musikalischen Sprache führten.
Diese kreative Selbstbeschränkung blieb nicht ohne Erfolg. Schon im Sommer 1814, während der Fidelio -Aufführungsserie, nach der Guten Nachricht und vor dem «Glorreichen Augenblick», komponierte er die Klaviersonate in e-Moll op. 90, in der er zwanglos mit einer neuen Musiksprache experimentierte. Der Anlass zu dieser Komposition war ganz banaler, materieller Art. Im April 1813 hatte Beethoven Kaspar Karl und seiner Frau 1500 Gulden geliehen – wahrscheinlich rechnete er damals mit einer schnellen Lösung des Leibrenten-Problems. Die Brüder vereinbarten vor Gericht (!), dass diese Summe in zwei Raten bis Juni 1814 zurückgezahlt werden sollte. Doch erst einmal geriet Beethoven selbst in Schwierigkeiten. Im Dezember 1813 litt er schon an akuter Geldnot; er wandte sich an den Verleger Steiner, der ihm den gesamten Betrag unter zwei Bedingungen lieh: Beethoven hatte ab Juli 1814 drei Monate Zeit für die Rückzahlung, falls Kaspar Karl seiner Verpflichtung nicht nachkam. Konnte er nicht zahlen, akzeptierte Steiner auch einen Ausgleich in natura: Beethoven sollte dann umgehend eine neue Klaviersonate komponieren und Steiner für einen Pappenstiel die Rechte an einigen wichtigen Kompositionen verkaufen, fast allen zwischen op. 90 und 100. Und so geschah es. Obwohl er seit fünf Jahren nicht ein einziges Klavierwerk mehr geschrieben hatte (oder müsste man eher sagen: weil er seit fünf Jahren kein Klavierwerk mehr geschrieben hatte?), konnte er die neue Sonate ohne nennenswerte Vorarbeit in den Skizzenbüchern – und ohne dass größere intellektuelle oder psychologische Barrieren zu überwinden waren – in kurzer Zeit vollenden. Das hört man ihr an. Selten hat Beethovens Musik so «natürlich» geklungen; man fühlt sich an Schubert erinnert.
Das Neuartige an dieser Sonate liegt auf einer Ebene, auf der man es nicht erwartet. Die Satzbezeichnungen deuten schon darauf hin. Zum ersten Mal verwendet Beethoven hier nämlich lange deutsche Tempoangaben: «Mit Lebhaftigkeit und durchaus mit Empfindung und Ausdruck» und «Nicht zu geschwind und sehr singbar vorgetragen». Oft wird dies mit einem nationalistischen, chauvinistischen Reflex des Komponisten erklärt. Nichts ist weniger zutreffend. Beethoven führte die deutschen Tempobezeichnungen ein, weil sie mehr über den Charakter und die Vortragsweise sagen als die traditionellen italienischen. Auf den ersten Blick scheinen sie einige kaum miteinander zu vereinbarende Gegensätze zu enthalten: Der erste Satz soll schnell, aber zugleich empfindsam und ausdrucksvoll gespielt werden – wobei die «Empfindung» ja etwas Innerliches und der «Ausdruck» etwas eher nach außen Gerichtetes ist –, der zweite ebenfalls
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