Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)
denn Russland versuchte sich um jeden Preis Polen einzuverleiben. Die Zarin war entzückt und zahlte für das Werk den gigantischen Betrag von 200 Dukaten. Einige Tage später, am 25. Januar 1815, überraschte Beethoven sie bei ihrer Geburtstagsfeier mit einem kleinen Konzert: Die vier Solisten des «Glorreichen Augenblicks» führten das Quartett «Mir ist so wunderbar» aus Fidelio auf, der Tenor Franz Wild sang «Adelaide», und Beethoven begleitete am Klavier. Es sollte sein letzter öffentlicher Auftritt als Pianist gewesen sein.
Auch die königliche Konkurrenz bemühte sich um ihn. Die preußische Delegation wollte in einem Trauerspiel die tragische Geschichte der jungen Potsdamerin Eleonore Prochaska erzählen, die als Mann verkleidet zunächst in der preußischen Armee und später im Lützow’schen Freikorps gekämpft hatte und ums Leben gekommen war. Das Drama Eleonore Prohaska von dem Staatsbeamten Friedrich Duncker war eine Ode an die Kraft des preußischen Volkes und enthielt allerlei freimaurerisches Gedan kengut. Beethoven wurde gebeten, die Schauspielmusik zu komponieren. Das tat er offenbar nur mit Widerwillen, jedenfalls schrieb er die vier Nummern (WoO 96) mit einem Minimum an Mitteln zusammen, die Vokalsätze haben keine oder nur eine äußerst spärliche Orchesterbegleitung, und der Trauermarsch ist eine orchestrierte Fassung des Marcia funebre aus der Klaviersonate op. 26. Als die geplante Aufführung dann doch nicht zustande kam, vermutlich wegen einer gewissen antipreußischen Stimmung in Wien, dürfte Beethoven erleichtert gewesen sein.
Im Juli 1815, einen Monat nach dem Ende des Kongresses, wurde er ein letztes Mal um einen Beitrag zur Feier des alliierten Sieges gebeten. Anlässlich der zweiten Einnahme von Paris am 7. Juli schrieb Treitschke das Singspiel Die Ehrenpforten mit fast den gleichen Ingredienzen wie in der Guten Nachricht. Auch die Komponisten waren dieselben, und wieder lieferte Beethoven das Finale. Auch dieses enthielt eine Ode an den Kaiser: eine Hymne für Bass, Chor und Orchester, die mit den feierlichen Worten «Gott sei Dank und unserm Kaiser! Es ist vollbracht!» endete; dabei waren im Hintergrund Fragmente aus Haydns «Gott erhalte Franz den Kaiser» zu hören.
So erfüllte auch Beethoven seine patriotische Pflicht. Zum Dank wurde ihm im November 1815 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien verliehen. Der flämischstämmige Immigrant aus der rheinischen Provinz war eitel genug, diese symbolische Aufnahme ins Establishment als Ehre zu empfinden. Aber diese Auszeichnung hat etwas Verdächtiges. Knapp ein Jahr, bevor Beethoven sie erhielt, hatte ein Wiener Polizeispitzel in einem Bericht über das Konzert vom 29. November 1814 – vermutlich zur Beruhigung seiner Vorgesetzten – geschrieben:
«Die gestrige Akademie hat den Enthusiasmus für das Kompositionstalent des Herrn Beethoven auf keine Weise vermehrt. Gegenüber von Rasumowsky, Appony, Kraft, welche Beethoven vergöttern, steht eine weit überzählende Majorität von Kennern, die von des Herrn Beethoven Komposition gar keine Musik hören wollen.»[ 135 ]
Ganz offensichtlich brachte das Jahr 1814 gleichzeitig den quantitativen Zenit und den qualitativen Nadir von Beethovens Karriere. Innerhalb weniger Monate konnte er mehr Akademien veranstalten als in allen anderen Jahren zusammengenommen, und sein Fidelio wurde fast zwanzigmal aufgeführt. Doch er verdankte seine Erfolge beim Publikum in erster Linie einigen Werken, die mit ihrem krassen Mangel an Substanz völlig untypisch für ihn waren und deshalb später mit dem Etikett «Kitsch» versehen wurden. Anders gesagt: In den Augen der Herrschenden war der Bürger Beethoven dank seiner Beiträge zum feierlichen Hochamt der Restauration ungefährlich geworden, während sich der Künstler Beethoven damit auf Abwege begab.
Und gerade in diesem gefährlichen Moment fielen einige aristokratische Gönner aus, die ihn in der Vergangenheit konsequent unterstützt hatten. Insofern lag der Spitzel mit seinem Bericht nicht völlig falsch. Ende 1812 hatte sich Kinsky buchstäblich das Genick gebrochen, Lobkowitz 1813 nur finanziell. Am 15. April 1814 starb Lichnowsky, und im nächsten Jahr kehrte Rasumowsky nach Russland zurück, weil in der Silvesternacht sein Palais durch einen Brand weitgehend zerstört worden war. Das Feuer war in einer hölzernen Halle ausgebrochen, die Rasumowsky anlässlich eines von Alexander I. veranstalteten Balls für die Bewirtung der
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