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Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)

Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)

Titel: Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Caeyers
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schnell, aber auch wieder nicht zu schnell und gleichzeitig möglichst gesanglich. Mit dieser scheinbaren Unentschiedenheit erreicht Beethoven ein Höchstmaß an Genauigkeit. Erfahrene Musiker kennen den beinahe jenseits der sinnlichen Wahrnehmung liegenden Bereich, in dem ein schnelleres Tempo langsamer wirken kann, oder umgekehrt, und die feinsten Veränderungen der Klangfarbe eher fühlbar als hörbar sind. (Es fällt auf, dass Beethoven diese zwischen Gegensätzen schwebenden Klänge gerade dem neuen Streicher-Flügel entlocken wollte.) Im Schatten des grellen Kongressgetöses hat ihm die e-Moll-Sonate gezeigt, dass er aus der kompositorischen Sackgasse herausfinden konnte, wenn seine Musik aufhörte, ein Spiel mit Klängen zu sein, und zu Klangpoesie wurde.
    In die gleiche Richtung weist das kleine Chorwerk «Meeresstille und Glückliche Fahrt» op. 112, das er nach den Ehrenpforten komponierte. Ist es Zufall, dass Beethoven gerade jetzt dieses Paar von Goethe-Gedichten vertonte, in denen von langer, beklemmender Flaute die Rede ist und dann von plötzlich aufkommendem Wind, der das Schiff wieder in Fahrt und dem ersehnten Land näher bringt? Der erste Satz mit seinem verhaltenen und doch flüssigen Tempo – auch hier gegensätzliche Signale: der Alla-breve-Takt und die Bezeichnung poco sostenuto – beschwört die tiefe Stille und ungeheure Weite der reglosen See herauf, die den Schiffer bedrückt; im lebhaften zweiten weht ein frischer Wind, der auch die Hoffnung auf eine glückliche Heimkehr zurückbringt. Die heftigen Fortissimos und Sforzati verdanken ihre Wirksamkeit ihrer klugen Dosierung im vorherrschenden Piano; anders als im «Glorreichen Augenblick» gewinnt die einzelne Geste also durch Zurückhaltung an Gewicht. Das gilt natürlich ebenso für den kurzen, ergreifenden «Elegischen Gesang» op. 118 für vier Singstimmen und Streichquartett, den Beethoven während der Arbeit an der e-Moll-Sonate für seinen treuen Freund Johann von Pasqualati zum dritten Todestag von dessen Frau komponierte; die Todesthematik legte diese Art der Vertonung nahe.
    Etwas ganz anderes war das neue Klavierkonzert in D-Dur, an dem Beethoven im Frühjahr 1815 eine Zeitlang arbeitete, das er aber mitten in der ersten Solo-Exposition liegen ließ. Er hatte erkannt, dass der heroische Stil, in den er hier wieder verfiel, mit fanfarenartigen Themen und dominanten Paukenrhythmen, für ihn längst passé war.

FÜNFTER TEIL
    Der einsame Weg
    (1816 – 1827)

2
    Wien nach dem Kongress
    Die Lungenerkrankung, von der sich Beethoven erst nach einem Dreivierteljahr erholte, ist sicher die wichtigste, aber nicht die einzige Erklärung für den Rückgang seines Schaffens. Die Probleme wuchsen ihm über den Kopf. Sorgen wegen der dramatischen Verschlimmerung seines Gehörleidens, der Kampf um die Vormundschaft über den Neffen, finanzielle Schwierigkeiten und die gewöhnliche Alltagsmisere wie etwa Streitigkeiten mit Bediensteten nahmen ihn so in Anspruch, dass er sich kaum auf das Wesentliche konzentrieren konnte. Das bedrückte ihn sehr. Manchmal flüchtete er in die beruhigende Einsamkeit der Natur, manchmal suchte er die Nähe anderer Menschen und bat jeden Bekannten, der ihm vielleicht zu neuen Aufträgen verhelfen konnte – am liebsten kurzfristig und im Ausland –, um Unterstützung. Wie mehrere Einträge in sein Tagebuch zeigen, war er tatsächlich davon überzeugt, dass er Wien verlassen müsse, um weiterzukommen und nicht im Mittelmaß zu versinken.
    Dass er einen Fortgang aus Wien ernsthaft in Erwägung zog, hing sowohl mit dem Fehlen konkreter Perspektiven als auch mit dem Verschwinden seiner adligen Gönner zusammen. Noch wichtiger waren aber zwei andere Faktoren: das restaurative, antidemokratische Klima, das für einen unkonventionellen Künstler nicht günstig war, und die zunehmende Hinwendung des Publikums zum oberflächlichen Konsum «angenehmer» und «leichter» Kunst. Das Wien der Zeit nach dem Kongress war tatsächlich kaum noch mit dem Wien vergleichbar, das er bei seiner Ankunft vor einem Vierteljahrhundert kennengelernt hatte. Metternich führte die von den europäischen Herrschern beschlossenen innenpolitischen Maßnahmen, die einen Umsturz durch oppositionelle Gruppen, also eine zweite Französische Revolution oder einen neuen Napoelon, unbedingt verhindern sollten, äußerst energisch durch. Allen tatsächlichen oder vermeintlichen Gegnern der traditionellen Ordnung – liberalen Kapitalisten,

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