Befehl von oben
PRÄSIDENTSCHAFT 101. »Weil es, wie Sie sich ausgedrückt haben, ›eine Führungsrolle‹ ist – stimmt's?« fragte Arnie leicht hämisch. »Und Führung bedeutet, bei der Truppe zu sein, in diesem Fall bei den Bürgern. Haben wir uns verstanden, Mr. President?«
»Das genießen Sie wohl sehr?« Jack schloß die Augen und rieb sie sich unter seiner Brille. Er haßte das verdammte Ding.
»Genauso sehr wie Sie.« Das war im Ganzen eine faire Bemerkung.
»Tut mir leid.«
»Die meisten, die hierherkommen, sind echt froh, wenn sie aus diesem Museum flüchten und unter echte Menschen gehen können. Natürlich macht das Leute wie Andrea nervös. Denen wäre es vermutlich sehr recht, wenn die Sie immerzu drinnen halten könnten. Aber hier kommt man sich doch wie im Gefängnis vor, oder nicht?« fragte Arnie.
»Nur wenn ich wach bin.«
»Also gehen Sie raus! Treffen Sie Leute! Erzählen Sie denen, was Sie denken, erzählen Sie, was Sie vorhaben. Teufel noch mal, die werden Ihnen zuhören. Die werden Ihnen vielleicht sogar erzählen, was sie denken, und vielleicht werden Sie dabei noch was lernen. Jedenfalls können Sie nicht Präsident sein und das nicht tun.«
Jack nahm das Positionspapier zur Hand. »Haben Sie das hier gelesen?«
Arnie nickte. »Jo.«
»Es ist verwirrender Müll«, sagte Ryan, über sich selbst überrascht.
»Es ist ein politisches Dokument. Seit wann ist denn Politik logisch oder vernünftig?« Er machte eine Pause. »Die Leute, mit denen ich die letzten zwanzig Jahre zusammengearbeitet habe, haben das mit der Muttermilch bekommen – na ja, vielleicht waren sie alle Flaschenkinder.«
»Was?«
»Fragen Sie Cathy. Eine dieser verhaltenspsychologischen Theorien.
Politiker sind alle Flaschenkinder. Mammi hat sie nie gestillt, also haben die nie richtige Nestwärme verspürt, haben sich verstoßen gefühlt und so, und um das auszugleichen, gehen die raus und halten Reden und erzählen den Leuten an verschiedenen Orten die verschiedensten Dinge, die sie hören wollen, so daß sie von Fremden die Liebe und Zuneigung erhalten, die ihnen Mammi verwehrt hatte – ganz zu schweigen von solchen wie Kealty, die immer nur das Bumsen im Sinn haben. Mit echter Liebe aufgezogene Kinder andererseits, die wachsen heran, um – etwa Ärzte zu werden, nehme ich an, oder vielleicht sogar Rabbis …«
»Was zum Teufel!« Der Präsident brüllte fast. Sein Stabschef grinste.
»Na, da hatte ich Sie wohl für 'ne Sekunde? Wissen Sie«, fuhr van Damm fort, »ich hab' rausgefunden, was wir wirklich verpaßt haben, als wir dieses Land gründeten.«
»Okay, ich beiss' an«, sagte Jack, die Augen wieder geschlossen und allmählich seinen Humor wiederfindend. Verdammt, dieser Arnie wußte, wie man mit einer Klasse umging.
»Einen Hofnarren, geben Sie ihm einen Kabinettsposten. Sie verstehen, einen Zwergentschuldigung, männliche Person mit ungewöhnlich starker vertikaler Herausforderung – in bunten Strumpfhosen und einer Narrenkappe mit Schellen dran. Geben Sie ihm einen kleinen Stuhl in der Ecke – ach, hier gibt's keine Ecke, aber was soll's, zum Teufel – und alle fünfzehn Minuten oder so sollte er auf Ihren Schreibtisch springen und Ihnen vorm Gesicht die Rassel schütteln, um Sie dran zu erinnern, daß Sie auch ab und zu pissen gehen müssen, genau wie wir alle. Haben Sie's jetzt kapiert, Jack?«
»Nein«, gab der Präsident zu.
»Sie Dummbartel! Der Job kann Spaß machen! Hinausgehen und Ihre Bürger sehen ist Spaß. Zu erfahren, was die wollen, ist wichtig; und es steckt auch etwas Erhebendes drin. Die wollen Sie lieben, Jack. Die wollen Sie unterstützen. Die wollen wissen, was Sie denken. Aber vor allem wollen die wissen, daß Sie einer von ihnen sind – und wissen Sie was? Sie sind der erste Präsident seit verdammt langer Zeit, der das auch wirklich ist! So, verflucht noch mal, erheben Sie sich vom Sessel, sagen Sie den fliegenden Pfadfindern, sie sollen den großen blauen Vogel starten, und spielen Sie das verdammte Spiel!« Er mußte nicht hinzufügen, daß der Terminplan so feststand, daß es gar nicht anders ging.
»Nicht jedem wird gefallen, was ich sage oder denke, Arnie, und ich will verdammt sein, wenn ich hingehen und lügen sollte, nur um Schmeicheleien zu hören oder Stimmen zu heischen oder sonst was.«
»Sie erwarten, daß Sie jeder liebt?« fragte van Damm. »Die meisten Präsidenten geben sich mit einundfünfzig Prozent zufrieden. Etliche mußten sich mit weniger
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