Befehl von oben
letzte Woche alles durchgekaut – hat Ihnen's niemand gesagt? Die hören nie auf da drüben, das Steuersystem zu analysieren. Studie? Ich muß das Wort nur fallenlassen, da hab' ich am nächsten Tag tausend Seiten auf'm Tisch, die mir sagen, wie's 1952 war, was die Steuer damals angerichtet hat – oder was man damals dachte, was sie angerichtet hätte, gegenüber dem, was man jetzt daraus schließt oder was Studien aus den Sechzigern geschlossen haben.« Der Finanzminister nahm noch einen Bissen. »Summa summarum? Die Wall Street ist weitaus komplexer, aber dort werden einfachere Modelle verwendet, und diese Modelle funktionieren. Warum? Weil sie einfacher sind. Und das werde ich dem Senat mit Ihrer Erlaubnis in eineinhalb Stunden sagen.«
»Sind Sie sicher, daß Sie richtig liegen, George?« fragte POTUS. Das war eines der Probleme, womöglich das größte. Der Präsident konnte nicht alles überprüfen, was in seinem Namen geschah – selbst die Überprüfung eines Prozents wäre eine Heldentat –, und war trotzdem für alles verantwortlich. Dieses Wissen hatte manchen Präsidenten an der internen Führungsstruktur scheitern lassen.
»Jack, ich bin mir so sicher, daß ich das Geld meiner Investoren darauf wetten würde.«
Zwei Augenpaare begegneten sich über dem Tisch. Jeder Mann schätzte den anderen richtig ein. Der Präsident hätte sagen können, das Wohlergehen der Nation habe einen höheren Stellenwert als die paar Milliarden Dollar, die Winston bei Columbus Group verwaltet hatte, aber er tat es nicht. Winston hatte sein Investmentimperium von ganz unten an aufgebaut. Er war wie Ryan ein Mann aus bescheidenen Verhältnissen und war in einer wahnwitzig konkurrenzstarken Umgebung auf der Basis von Sachverstand und Integrität erfolgreich gewesen. Das ihm von seinen Kunden anvertraute Geld mußte ihm wertvoller als sein eigenes sein, und weil das schon immer so gewesen war, hatte er es zu Reichtum und Macht gebracht, aber nie das Wie und Warum von allem vergessen.
Die erste wichtige öffentliche politische Erklärung von Ryans Regierung würde sich auf den Grips und die Aufrichtigkeit Winstons verlassen müssen. Der Präsident bedachte das einen Augenblick und nickte dann.
»Dann tun Sie es, TRADER.« Aber Winston hatte auch seine Bedenken.
Es sagte dem Präsidenten einiges, daß selbst ein so mächtiger Mann wie der Finanzminister eine Sekunde lang den Blick senkte und dann etwas Leiseres und weniger Bestimmtes sagte als seine überzeugte Versicherung vor fünf Sekunden.
»Wissen Sie, politisch wird das einen …«
»Was Sie dem Senat sagen werden, George, ist das gut für das Land?«
»Ja, Sir!« Ein nachdrückliches Kopfnicken.
»Dann kneifen Sie mir nicht.«
SecTreas wischte sich mit der monogrammbedruckten Serviette über den Mund und blickte wieder zu Boden. »Wissen Sie, wenn das alles vorbei ist und wir wieder ein normales Leben führen, müssen wir irgendwas finden, wo wir zusammenarbeiten. Es gibt nicht viele Leute wie wir, Ryan.«
»Eigentlich schon«, sagte der Präsident nach kurzem Überlegen.
»Das Problem ist, daß sie nie hierher zum Arbeiten kommen. Wissen Sie, von wem ich das gehört hab'? Von Cathy«, erzählte ihm Jack. »Sie baut Mist, und jemand erblindet, aber sie kann ihren Posten nicht verlassen, oder? Stellen Sie sich vor, die Ärzte bauen Mist, und jemand verliert für immer sein Augenlicht – oder stirbt. Wer in der Notaufnahme arbeitet, ist wirklich nicht zu beneiden. Du bist nicht auf deinem Posten, und schon ist jemand auf ewig hinüber. Große Sache, George, größer, als mit Rechtsnormen zu handeln wie wir. Genauso bei der Polizei und bei den Soldaten. Du mußt zur rechten Zeit richtig auf dem Posten sein, oder es passiert was ganz Schlimmes. Aber solche Leute kommen nicht hierher nach Washington, oder? So jemand geht hauptsächlich auf den Posten wo es wirklich abgeht«, sagte Ryan beinahe wehmütig. »Die wirklich Guten gehen dahin, wo sie gebraucht werden, und sie scheinen immer zu wissen, wo das ist.«
»Weil die wirklich Guten den ganzen Mist nicht mögen. Kommen sie deshalb nicht hierher?« fragte Winston, der bei dieser Lektion in Staatsführung feststellte, daß Ryan ein beachtlicher Lehrer war.
»Einige schon. Adler im Außenministerium. Ich hab' noch einen anderen Kerl entdeckt, heißt Vasco. Doch das sind diejenigen, die sich gegen das System auflehnen. Das System arbeitet gegen sie. Und gerade die müssen wir erkennen und beschützen.
Weitere Kostenlose Bücher