Befehl von oben
daß die kleineren Staaten ebenfalls fallen würden.
Die objektiven Umstände sind hier offensichtlich«, fuhr der General im ruhigen Ton eines Berufssoldaten fort, der eine Katastrophe analysiert.
»Iran und Irak sind zusammengenommen zahlenmäßig der Gesamtbevölkerung der anderen Staaten in beträchtlichem Maß überlegen – fünf zu eins, Genosse Vorsitzender? Mehr? Ich weiß es nicht mehr exakt, aber sicherlich ist es ein entscheidender Vorteil, was eine direkte Eroberung oder zumindest einen großen politischen Einfluß wahrscheinlich macht. Das allein würde dieser neuen Vereinigten Islamischen Republik eine enorme wirtschaftliche Macht geben, die Fähigkeit, dem westlichen Europa wie auch Asien die Energiezufuhr nach Belieben abzudrehen.
Nun Turkmenistan. Wenn es sich, wie Sie vermuten, nicht um einen Zufall handelt, dann ist daraus zu ersehen, daß der Iran auch nach Norden expandieren und vielleicht auch noch Aserbaidschan« – der Finger fuhr über die Karte –, »Usbekistan, Tadschikistan und wenigstens einen Teil Kasachstans absorbieren möchte. Das würde die Bevölkerung verdreifachen, ihrer Vereinigten Islamischen Republik eine bedeutende Versorgungsgrundlage hinzufügen. Dann kämen wahrscheinlich Afghanistan und Pakistan dran, und dann haben wir eine neue Großmacht, die sich vom Roten Meer bis zum Hindukusch ausdehnt – njet, genauer gesagt vom Roten Meer bis nach China, und dann ist unsere Südgrenze vollständig mit uns feindlich gesinnten Nationen besetzt.« Er blickte auf.
»Das ist viel schlimmer, Sergej Nikolajewitsch, als meine bisherigen Befürchtungen«, schloß er nüchtern. »Wir wissen, daß die Chinesen auf das, was wir im Osten haben, scharf sind. Dieser neue Staat bedroht unsere Ölfelder im Transkaukasus – diese Grenze kann ich nicht verteidigen. Mein Gott, das Zurückdrängen Hitlers war ein Kinderspiel dagegen.«
Golowko befand sich auf der anderen Seite des Kartentisches. Er hatte Bondarenko aus bestimmtem Grund zu sich gerufen. Die oberste militärische Führungsriege seines Landes setzte sich aus den unverbesserlichen alten Haudegen der früheren Ära zusammen – aber die starben nach und nach weg, und Gennadi Josefowitsch war vom neuen Schlag, schlachtenerprobt im unglückseligen Afghanistankrieg, also alt genug, um zu wissen, was eine Schlacht war. Aber auch jung genug, um nicht mehr den ideologischen Ballast der vorherigen Generation mit sich herumzuschleppen. Bondarenko war kein Pessimist, sondern ein Optimist, der bereitwillig vom Westen lernte, wo er gerade mehr als einen Monat bei verschiedenen NATO-Streitkräften zugebracht und alles aufgesogen hatte, was er konnte – insbesondere wohl von den Amerikanern.
Aber Bondarenko blickte aufgeschreckt auf die Karte.
»Wie lange?« fragte der General. »Wie lange wird es dauern, bis dieser neue Staat gebildet ist?«
Golowko zuckte die Achseln. »Wer kann das sagen? Drei Jahre, schlimmstenfalls vielleicht zwei. Am besten fünf.«
»Mit fünf Jahren und der Möglichkeit, die militärische Macht unseres Landes wieder aufzubauen, dann können wir – womöglich – nein.«
Bondarenko schüttelte den Kopf. »Ich kann keine Garantie geben. Die Regierung wird mir nicht das Geld und die Ausrüstung geben, die ich brauche. Ich kann es nicht. Wir verfügen nicht über das entsprechende Geld.«
»Aber was dann?«
Der General richtete seinen Blick direkt auf den RVS-Leiter.
»Dann wäre ich lieber Operationschef der Gegenseite. Im Osten haben wir Gebirge als Barriere, das ist gut, aber wir haben nur zwei Eisenbahnstrecken zur logistischen Unterstützung, das ist nicht so gut. Was passiert in der Mitte, wenn sie ganz Kasachstan schlucken?« Er tippte auf die Karte. »Schauen Sie, wie nah sie dann an Moskau herankommen.
Und was ist mit Verbündeten? Mit der Ukraine vielleicht? Mit der Türkei? Mit Syrien? Der ganze Mittlere Osten wird sich mit diesem neuen Staat arrangieren müssen … Wir sind auf der Verliererseite, Genosse Vorsitzender. Wir können mit dem Einsatz von Nuklearwaffen drohen – aber was bringt uns das? China kann fünfhundert Millionen verlieren und ist dann immer noch zahlenmäßig überlegen. Ihre Wirtschaft wird stärker, während unsere stagniert. Sie können sich westliche Waffen leisten oder die Lizenzen, um sie bei sich nachzubauen. Wenn wir Nuklearwaffen einsetzen, ist das sehr gefährlich, taktisch wie strategisch, und dann ist da noch die politische Dimension, die ich Ihnen
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