Befehl von oben
ihn aber gerade zur idealen biologischen Waffe. Er würde töten.
Er würde sich ausbreiten. Dann aber würde er absterben, bevor er zuviel Verderben anrichten konnte. Wieviel Tod er brachte, war eine Funktion der ursprünglichen Verteilung. Er war schrecklich letal, aber auch in der Ausbreitung selbstbegrenzt.
»Wir haben also mindestens drei stabile Generationen«, bemerkte Moudi.
»Und extrapoliert wohl sieben bis neun.« Der Projektleiter war, ungeachtet seiner perversen medizinischen Tätigkeit, in Fachfragen konservativ. Moudi hätte neun bis elf gesagt. Besser, der Direktor hätte recht, gestand er sich ein und kehrte ihm den Rücken zu.
Auf dem Tisch an der anderen Wand standen zwanzig Dosen. Sie glichen der zur Infektion der Verbrecher verwendeten. Es waren Dosen einer bekannten europäischen Rasiercreme in Spargröße – die Firma war in amerikanischem Besitz, was alle am Projekt Beteiligten amüsierte – und einzeln in zwölf verschiedenen Städten in fünf verschiedenen Ländern gekauft worden. Hier im Affenhaus waren sie geleert und zum Umbau sorgfältig auseinandergenommen worden. Jede würde einen halben Liter ›Suppe‹ plus neutrales Treibgas (Stickstoff, der keine chemische Reaktion mit der ›Suppe‹ einging und Verbrennung unterband) und eine kleine Menge Kühlmittel aufnehmen. Eine andere Arbeitsgruppe hatte die Haltbarkeitsstudie gemacht. Mehr als neun Stunden lang würde Ebola nicht abbauen. Danach würden nach Erwärmung des Kühlmittels die Viren in einer linearen Funktion inaktiv. Nach neun plus acht Stunden wären knapp zehn Prozent eliminiert, aber diese, sagte sich Moudi, waren wohl sowieso schwach und würden die Krankheit nicht auslösen. Nach neun plus sechzehn Stunden wären fünfzehn Prozent tot. Danach, hatten die Experimente ergeben, schwanden alle acht Stunden weitere fünf Prozent – aus irgendeinem Grund hielten sich die Intervalle an Dritteltage. Und so …
Es war recht einfach. Die Kuriere würden alle von Teheran abfliegen.
Flugzeit bis London sieben Stunden, nach Paris dreißig Minuten weniger und nach Frankfurt sogar noch weniger. Dies hing von der Tageszeit ab, hatte Moudi erfahren. In den drei Städten gäbe es problemlos Anschlußflüge. Das Gepäck würde nicht geprüft, weil die Kuriere in ein anderes Land weiterflogen, deshalb nicht durch den Zoll mußten, und so würden niemandem die ungewöhnlich kalten Rasiercremedosen auffallen. Zu der Zeit, da die Kühlung nachließ, wären die Reisenden bereits in ihren Erste-Klasse-Sitzen unterwegs, zu ihren Zielorten und im Anstieg auf die endgültige Flughöhe. Von da ab zeigte sich der internationale Luftverkehr wiederum günstig. Von Europa aus gingen Direktflüge und regelmäßige Verbindungen zu eigentlich allen amerikanischen Großstädten. Die Kuriere würden alle erster Klasse fliegen, um mit ihrem Gepäck schneller durch den Zoll zu kommen. Sie würden gute Hotelresevierungen und Rückflugtickets für dem Heimweg über andere Flughäfen haben. Vom Zeitpunkt Null bis zur Ablieferung würden nicht mehr als vierundzwanzig Stunden vergehen, und daher wären noch achtzig Prozent der Ebola-Viren aktiv. Danach war alles dem Zufall überlassen oder Allahs Händen – nein! Moudi schüttelte den Kopf. Er war nicht der Direktor. Er würde dieses Vorhaben nicht dem Willen Gottes zuschreiben. Was es auch sein mochte, wie wichtig es auch für sein Land – noch dazu ein neues – sein würde, er würde nicht seinen Glauben beflecken, indem er das sagte oder auch bloß dachte.
Halbwegs einfach? Das war es gewesen, aber dann … Schwester Jean Baptiste, deren Körper längst eingeäschert war … Anstatt Kinder zu hinterlassen, wie es sich für den weiblichen Körper gehörte, war seine einzige physische Hinterlassenschaft eine Krankheit; und dieser Akt war so abgefeimt, daß Allah gewiß beleidigt war. Aber sie hatte noch etwas hinterlassen, ein echtes Vermächtnis. Moudi hatte früher alle Westler als Ungläubige gehaßt. In der Schule hatte er von den Kreuzzügen gelernt und wie diese vermeintlichen Soldaten des Propheten Jesus Muslime dahingeschlachtet hatten, so wie Hitler Juden vernichtete.
Daraus hatte er die Lektion gelernt, daß alle Westler und alle Christen gegenüber Menschen seines Glaubens minderwertig waren, und solche Menschen waren leicht zu hassen, leicht abzutun als Geringfügigkeiten in einer Welt der Tugend und des Glaubens. Nur diese eine Frau. Was war der Westen und was die Christenheit?
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