Befehl von oben
Gruppe zwei waren nun alle sterbenskrank, und es war Zeit, ihre Leiden zu beenden. Es ging nicht so sehr um Barmherzigkeit als um Effizienz. Es gab keinen Grund, das Leben der Krankenwärter aufs Spiel zu setzen, indem sie Leute behandeln mußten, die durch Justiz wie durch Wissenschaft zum Tode verurteilt waren. Sie wurden wie die erste Gruppe durch starke Injektionen von Dilaudid erledigt, wie Moudi am Monitor sah. Die Erleichterung war den Wärtern anzusehen, selbst unter den beschwerlichen Plastikanzügen. In nur wenigen Minuten waren alle Testpersonen tot. Es wurde das gleiche Verfahren wie zuvor angewendet, und der Arzt gratulierte sich zu ihrer sauberen Arbeit und daß keine Außenstehenden infiziert worden waren. Das lag allein an ihrer Unbarmherzigkeit. An anderen Orten – richtigen Krankenhäusern – hätten sie kein solches Glück und würden bereits den Verlust ärztlicher Kollegen betrauern müssen.
Es war eine seltsame Binsenwahrheit, daß Hintergedanken immer zu spät kamen. Er konnte das Kommende nicht mehr aufhalten, sowenig wie den Lauf der Erde.
Die Krankenwärter luden die infizierten Körper auf die Bahren, und er wandte sich ab. Das mußte er nicht noch mal sehen. Moudi ging ins Labor.
Eine weitere Gruppe Laboranten füllte nun die ›Suppe‹ in Behälter, die Flakons genannt wurden. Sie hatten tausendmal mehr, als für die Mission benötigt wurde, aber es war leichter, zuviel als gerade die richtige Menge zu produzieren, und, wie der Direktor beiläufig erklärte, man wußte ja nicht, ob sie nicht noch mehr brauchen würden. Die Flakons waren alle aus rostfreiem Stahl, sogar aus einer speziellen Legierung, die in extremer Kälte auch nicht an Festigkeit verlor. Jeder wurde zu zwei Dritteln gefüllt und versiegelt. Dann wurde er mit einer ätzenden Chemikalie besprüht, um sicherzugehen, daß die Außenseite sauber war. Danach würde er auf einen Karren gestellt und in die Kühlkammer im Erdgeschoß des Gebäudes gerollt, wo er zur Lagerung in flüssigen Stickstoff untergetaucht würde. Die Ebola-Viren könnten dort Jahrzehnte lagern, zu kalt, um abzusterben, in Ruhe lauernd. Wieder in Wärme und Feuchtigkeit gelangt, hätten sie erneut die Chance, sich zu vermehren und zu töten. Einer der Flakons blieb im Labor, in einem kleineren Kühlbehälter, von etwa der Größe eines Ölfasses gelagert, nur etwas höher. Eine LED-Anzeige gab immer die Innentemperatur an.
Es war schon eine Erleichterung, daß dieser Teil das Dramas bald vorbei sein würde. Bald würden die zwanzig Behälter gefüllt und aus dem Gebäude gebracht sein; man würde jeden Quadratzentimeter des Baues rigoros reinigen. Der Direktor würde seine ganze Zeit im Büro verbringen, und Moudi – nun, zur WHO konnte er ja nicht zurück, oder? Schließlich war er tot, ein Opfer vom Flugzeugabsturz vor der libyschen Küste. Man müßte ihm eine neue Identität und einen Paß kreieren, ehe er wieder reisen konnte. Oder würde er aus Geheimhaltungsgründen – nein, selbst der Direktor war nicht so gnadenlos, nicht wahr?
*
»Hallo, ich möchte Dr. Ian MacGregor sprechen.«
»Wer ist da, bitte?«
»Dr. Lorenz von den CDC in Atlanta.«
»Einen Augenblick bitte.«
Gus mußte nach seiner Uhr zwei Minuten warten, lange genug, um sich eine Pfeife anzuzünden und ein Fenster zu öffnen.
»Hier Dr. MacGregor«, sagte eine junge Stimme.
»Hier Gus Lorenz in Atlanta.«
»Oh! Guten Tag, Herr Professor!«
»Wie geht es Ihren Patienten?« fragte Lorenz über sieben Zeitzonen hinweg. MacGregors Stimme gefiel ihm, der machte eindeutig Überstunden. Die Guten machten das häufig.
»Dem männlichen Patient, fürchte ich, geht es gar nicht gut. Das Kind jedoch erholt sich.«
»Tatsächlich? Nun, wir haben die eingesandten Proben untersucht.
Beide enthielten den Ebola-Virus, Mayinga-Typ.«
»Sind Sie wirklich sicher?« fragte der jüngere Mann.
»Es steht außer Zweifel, Doktor. Ich habe die Tests selbst durchgeführt.«
»Das habe ich befürchtet. Ich habe noch eine nach Paris geschickt, aber die haben sich noch nicht gemeldet.«
»Ich muß noch ein paar Dinge wissen.« Lorenz legte sich einen Notizblock zurecht. »Erzählen Sie mir mehr von Ihren Patienten.«
»Das ist nicht so einfach, Professor Lorenz«, mußte MacGregor sagen. Er wußte nicht, ob die Leitung angezapft war, aber in einem Land wie Sudan mußte er damit rechnen. Andererseits mußte er etwas sagen, also begann er, durch die Fakten zu staksen, die er preisgeben
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