Befehl von oben
Chef einer mächtigen Kanzlei in Washington – einem Mann, der den Neuling aus Peoria bloß hatte unterrichten wollen – gesagt, daß er solchen Leuten niemals sein Ohr leihen würde. Dem Mann ins Gesicht gesagt. Unter anderen Umständen wäre das eine amüsante Anekdote gewesen. Solche Leute kamen gelegentlich mit so hehren Absichten nach Washington, daß sie auf ein weißes Pferd gepaßt hätten – aber und in den meisten Fällen machten sie das sowieso nur, um Eindruck zu schinden.
Diesmal aber nicht. Es machte die Runde. Erst berichteten die D.C.-Zeitungen, dann griffen es einige daheim in Indianapolis als wirklich neu – und echt ›Hoosier‹ – auf, und es kam über mehrere Zeitungssyndikate wieder zurück. Dieser neue Senator hatte nachdrücklich mit einigen seiner neuen Kollegen gesprochen und ein paar bekehrt. Nicht allzu viele, aber genug, um sich Sorgen zu machen. Genügend jedenfalls, um ihm den Vorsitz eines mächtigen Unterausschusses einzutragen, was für jemand seines Schlags eine famose Kanzel war, denn er hatte eine Neigung zum Dramatischen und zu effektvollen, aber nicht gerade hoffähigen Sprüchen, um deren Erwähnung Reporter nicht rumkamen.
Selbst Korrespondenten im Großen Netzwerk genossen es, tatsächlich neue Dinge zu berichten – womit sie dem Wort ›News‹ wieder seinen Sinn zurückgaben.
Auf den Partys scherzten die Menschen, es sei eine Mode wie Hula-Hoop: zwar recht nett anzusehen, aber bald verblassend. Dennoch gefror das tolerante Lächeln auf seinem oder ihrem Gesicht zuweilen mitten im Scherz, und sie fragten sich, ob etwas tatsächlich Neues eintreten würde.
Nein, hier gab es nie etwas tatsächlich Neues. Das wußten doch alle.
Das System hatte Regeln, und die mußten befolgt werden.
Nur machten sich manche bei ihren Dinnerpartys in Georgetown doch Sorgen. Sie mußten teure Häuser abzahlen, Kinder erziehen und ihren Status aufrechterhalten. Alle waren von anderswo hergekommen, und niemand wollte dorthin zurück.
Es war einfach empörend. Wie sollten die Neulinge denn herausfinden, was sie brauchten, ohne daß Lobbyisten aus dem Netzwerk sie anleiteten und erzogen – und repräsentierten die nicht auch das Volk?
Wurden sie nicht eigens dafür bezahlt? Sagten sie's nicht den gewählten Volksvertretern – zu allem Übel waren diese Neulinge gar nicht gewählt, nur berufen worden, viele von Gouverneuren, die in ihrem Wunsch, wiedergewählt zu werden, sich Präsident Ryans leidenschaftlicher, aber völlig unrealistischer Fernsehansprache gebeugt hatten. Als wäre eine neue Religion ausgebrochen.
Auf den Partys in Chevy Chase machten sich viele Sorgen, daß die neuen Gesetze, die diese neuen Senatoren verabschieden würden … Diese Neulinge konnten tatsächlich ohne ›Hilfe‹ Gesetze auf den Weg bringen. Das war eine so umwerfend neue Vorstellung, daß sie … erschreckend war. Aber nur für den, der das wirklich glaubte.
Und dann gab es die Bewerbungen ums ›Haus‹, die im ganzen Land bevorstanden, die speziellen Wahlen zur Neubevölkerung vom Haus des Volkes, wie alle es gern nannten. Das Disneyland für Lobbyisten, so viele Sitzungen alle bequem in einem Gebäudekomplex, 435 Gesetzesmacher und ihre Bediensteten innerhalb von bloß 40 Hektar. Die Prognosedaten, vor allem in Lokalblättern veröffentlicht, wurden nun in ungläubigem Staunen von landesweiten Medien aufgegriffen. Da kandidierten Leute, die das noch nie getan hatten: Geschäftsleute, Gemeindeoberhäupter, die nicht aus dem System kamen, Anwälte, Geistliche, selbst einige Ärzte. Einige von ihnen hatten sogar Siegeschancen mit ihren neopopulistischen Reden zur Unterstützung des Präsidenten und zur ›Wiederbelebung Amerikas‹ – ein Ausdruck, der sehr geläufig geworden war. Aber Amerika war doch nie gestorben, sagten sich die Netzwerkleute. Sie waren doch noch da, oder nicht?
Es kam alles von Ryan. Er war nie einer von ihnen gewesen. Er hatte sogar mehr als einmal gesagt, er sei nicht gern Präsident.
Nicht gern?
Wie konnte irgendein Mensch nicht gern so viele Entfaltungsmöglichkeiten haben, so viele Begünstigungen verteilen und so wie ein König aus alten Tagen hofiert und geschmeichelt werden?
Nicht gern?
Dann gehörte er nicht dazu, aber wirklich.
Sie wußten, wie damit umgehen. Jemand hatte bereits angefangen.
Das Durchsickern. Nicht direkt von drinnen – von kleineren Figuren mit kleineren Aufgabenbereichen. Es gab ja noch mehr. Es gab das Gesamtbild, und dafür
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