Befehl von oben
Dinge in Bewegung setzen oder andere dazu anweisen, und konnte sich dabei nicht nach den von einem anderen bereits schriftlich fixierten Vorgaben richten. Wer regelmäßig in den obersten Büros ein und aus ging, wurde mit demjenigen identifiziert, der dort gerade amtierte, letztlich bis hinauf zum Präsidentenbüro im Westflügel. Der Zugang zur Spitze brachte eine gewisse Macht und Prestige mit sich – und auch ein signiertes Foto an der Bürowand, um den Besuchern zu verkünden, wie wichtig man selbst war. Wenn aber der anderen Person auf dem Foto etwas widerfuhr, konnten Foto und Autogramm eher zum Passiv- als zum Aktivposten werden. Das allergrößte Risiko war das, von einem stets willkommenen Insider zu einem Outsider zu werden, der zwar nicht immer übergangen wurde, aber doch gezwungen war, sich wieder einen Weg zurückzubahnen, was für diejenigen, die so viel Zeit damit verbracht hatten, erst einmal hineinzukommen, keine verlockende Aussicht war.
Die offensichtlichste Schutz bestand natürlich darin, vernetzt zu sein, einen Bekanntenkreis zu haben, der nicht eng, dafür aber breit sein mußte und Personen aus allen Schattierungen des politischen enthielt. Wer einer genügenden Zahl von Insiderkollegen bekannt war, fand immer eine sichere Plattform, gewissermaßen ein Sicherheitsnetz. Das Netz war nahe genug an der Spitze, daß die Menschen darin Zugang nach oben hatten, ohne ein Herunterfallen befürchten zu müssen. Diejenigen, die ganz oben saßen, genossen auch dessen Schutz, konnten jederzeit bei entsprechenden Posten heraus- und hineinschlüpfen und auf die nächste Gelegenheit warten, auch als derzeit Außenstehende doch noch im Netzwerk bleiben und den Zugang freihalten, den sie auch an Bedürftige weitervermittelten. In diesem Sinne hatte sich seit dem Pharaonenhof in der uralten Nilstadt Theben nichts geändert, wo die Bekanntschaft mit einem Adeligen, der Zugang zum Pharao hatte, einem Macht verlieh, die sich sowohl in Geld verwandeln ließ wie auch in die pure Freude, so wichtig zu sein, das andere im Katzbuckeln ihren Vorteil suchten.
Doch die zu große Nähe zum Hof des falschen Oberhaupts schloß das Risiko mit ein, einen Makel zu bekommen, besonders wenn der Pharao nicht mit dem System Ball spielte. Und Präsident Ryan spielte nicht. Es war, als hätte ein Ausländer den Thron usurpiert, nicht unbedingt ein böser Mann, aber ein anderer Mann, der nicht die Leute aus dem Establishment um sich scharte. Sie hatten geduldig darauf gewartet, daß er zu ihnen kam wie alle Präsidenten, um ihren weisen Rat zu hören, ihnen Zugang zu gewähren und ihm im Gegenzug auch Türen zu öffnen wie allen Höflingen seit Jahrhunderten. Sie erledigten Dinge fürs beschäftigte Oberhaupt, teilten sparsam Gerechtigkeit aus, achteten drauf, daß die Dinge im gleichen alten Trott erledigt wurden, der richtig sein mußte, da sie alle darin übereinstimmten, solange sie dienten und davon bedient wurden.
Aber das alte System war nicht so sehr zerstört wie ignoriert worden, und das verdatterte die Tausenden von Angehörigen des Großen Netzwerks. Sie hielten ihre Cocktailpartys ab und sprachen über den neuen Präsidenten, belächelten tolerant seine neuen Ideen und warteten darauf, daß er zur Vernunft kam. Nun lag aber jene Nacht des Grauens schon geraume Zeit zurück, und es war noch nicht geschehen. Vernetzte, die noch aus der Fowler-Administration ›drinnen‹ arbeiteten, berichteten bei den Partys, daß sie nicht verstanden, was geschah. Altgediente Lobbyisten bemühten sich um Termine und erfuhren, der Präsident sei voll ausgebucht und habe keine Zeit.
Keine Zeit?
Keine Zeit für sie?
Es war, als hätte der Pharao allen Edlen und Höflingen gesagt, sie sollten heimgehen und ihre Ländereien im Reich des Flusses bewirtschaften, und das machte keinen Spaß – in den Provinzen zu leben … mit dem gemeinen Volk?
Schlimmer war noch, daß der neue Senat, oder ein Großteil davon, dem Beispiel des Präsidenten folgte. Am schlimmsten war, daß viele, wenn auch nicht alle, sie kurz abfertigten. Von einem neuen Senator aus Indiana hieß es, er habe eine Eieruhr auf dem Schreibtisch, die er bei Lobbyisten auf bloße fünf Minuten, aber bei Leuten, die mit ihm über diese absurde Idee der Neuformulierung des Steuerrechts sprechen wollten, überhaupt nicht stellte. Am allerschlimmsten war, daß er nicht mal die Höflichkeit besaß, Terminanfragen vom Stellvertreter abwimmeln zu lassen. Er hatte wirklich dem
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