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Befehl von oben

Befehl von oben

Titel: Befehl von oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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gewesen; er durfte unter keinen Umständen unterschätzt werden. Das Problem war, daß Lermonsow erwartet hatte, Ryan würde in ein bestimmtes Schema passen, und Iwan Emmetowitsch war so leicht nicht zu klassifizieren. Das lag weniger an seiner Komplexität als daran, daß es eine andere Art von Komplexität war. Rußland hatte keinen Ryan – unwahrscheinlich, daß er sich in der sowjetischen Umgebung hätte halten können, von der die Russische Föderation noch immer durchdrungen war, insbesondere die offiziellen Bürokratien. Er langweilte sich schnell und besaß, wenn auch die meiste Zeit streng gezügelt, viel Temperament.
    Mehrmals hatte Golowko es aufschäumen sehen, aber nur davon gehört, daß es auch mal mit ihm durchging. Die Geschichten darüber waren bei der CIA durchgesickert und an Ohren gedrungen, die darüber am Dscherschinski-Platz berichteten. Gott helfe ihm als Regierungschef.
    Doch das war nicht Golowkos Problem.
    Er hatte eigene im Überfluß. Er hatte die Kontrolle über den Auslandsaufklärungsdienst nicht ganz abgegeben – Präsident Gruschawoy hatte wenig Veranlassung, der Organisation zu trauen, die einst ›Schild und Schwert der Partei‹ gewesen war, und so wollte er jemanden haben, auf den er sich verlassen konnte, der dieses an die Kette gelegte Raubtier im Auge behielt: Golowko natürlich – und gleichzeitig war Sergej der wichtigste außenpolitische Berater des geplagten russischen Präsidenten. Rußland hatte mit so gewaltigen inneren Probleme zu kämpfen, daß es dem Präsidenten versagt blieb, sich selbst mit außenpolitischen Problemen zu befassen, was bedeutete, daß der Präsident letztlich den Rat des ehemaligen Spions einholte und beinahe ausnahmslos befolgte.
    Der Chefminister – mit oder ohne den Titel war das sein Posten – nahm diese Aufgabe sehr ernst. Gruschawoy hatte im Inland mit der Hydra zu kämpfen – wie beim Ungeheuer der antiken Mythologie wuchs jeder abgeschlagene Kopf wieder nach. Golowko hatte mit weniger Problemen zu tun, die aber waren im einzelnen größer. Zum Teil hätte er sich eine Rückkehr des alten KGB gewünscht. Nur wenige Jahre zuvor wäre es ein Kinderspiel gewesen. Zum Telefon greifen, ein paar Worte sagen, die Kriminellen wären weggeschafft worden, und damit wäre der Fall erledigt gewesen – nicht ganz, aber es wäre viel … friedlicher zugegangen. Viel kalkulierbarer. Viel geordneter. Und sein Land benötigte Ordnung. Doch die zweite Hauptabteilung, ›geheimpolizeilicher‹ Teil der Organisation, war perdu, zum selbständigen Büro abgespalten, ihre Kräfte verringert und ihr Respekt in der Öffentlichkeit – Angst, die im nicht so fernen Damals absoluter Terror gewesen war – jetzt dahin. Nie war sein Land so sehr unter Kontrolle gewesen, wie es der Westen vermutete, aber nun war es schlimmer. Die Russische Republik bewegte sich am Rande der Anarchie, während ihre Einwohner nach etwas suchten, das Demokratie genannt wurde. Anarchie hatte Lenin an die Macht gebracht, denn die Russen bedurften strenger Herrschaft, hatten sie doch kaum mal was anderes kennengelernt; und obwohl Golowko das nicht wollte – als hoher KGB-Offizier wußte er ja, welchen Schaden der Marxismus-Leninismus seinem Land zugefügt hatte –, brauchte er verzweifelt ein organisiertes Land hinter sich, denn innere Probleme zogen äußere nach sich. Und so kam es, daß sein inoffizieller Posten als Chefminister für nationale Sicherheit Schwierigkeiten aller Art anzog. Seine Arme waren die eines Verletzten, der sich bemüht, Wölfe abzuwehren, während er Heilung anstrebt.
    Und so war sein Mitleid für Ryan beschränkt, dessen Nation wohl einen heftigen Schlag an den Kopf erhalten haben mochte, die ansonsten aber gesund war. So fremd dies anderen auch erscheinen dürfte, Golowko wußte es besser, und deswegen würde er Ryan um Hilfe bitten.
    China. Die Amerikaner hatten Japan besiegt, aber der wirkliche Feind war nicht Japan gewesen. Er hatte einen Schreibtisch voller Fotos, gerade von einem Aufklärungssatelliten herabgekommen. Zu viele Divisionen der Volksbefreiungsarmee exerzierten im Feld. Atomraketen-Regimenter Chinas waren noch in leicht erhöhter Alarmbereitschaft. Sein eigenes Land hatte die ballistischen Waffen vernichtet, trotz der chinesischen Bedrohung – die davon abhängigen, gewaltigen Mittel der Entwicklungshilfe von amerikanischen und europäischen Banken hatten dieses Wagnis noch vor wenigen Monaten attraktiv aussehen

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