Begegnung im Schatten
Das…“, er klopfte sich an die Brust, wo das Kuvert den Anzug bauschte, „hätten Sie mir auch wo anders übergeben können.“
„Abwarten, nein, nicht mehr abwarten.“ Markowitsch hatte sich aufgerichtet, dabei war eine Person in sein Blickfeld geraten, die sich vom Eingang her näherte.
Viele Gäste befanden sich zu dieser Tageszeit nicht im Raum, aber die meisten, insbesondere die männlichen, wandten der Dame, die da schritt, die Köpfe zu. In der Tat, eine elegante Erscheinung: Sie trug ein graues Kostüm mit einem fast knöchellangen, engen Rock, der sie wie die hohen Absätze sie zu graziösen Schritten zwang. Unter dem halsfernen Jäckchen trug sie nichts Sichtbares außer einer anliegenden Kette übererbsgroßer grauer Perlen. Als hübsch oder schön hätte man sie nicht treffend charakterisiert. Hochstehende Jochbeine, ein breiter Mund, aber insbesondere auseinander stehende, dunkle Augen gaben dem Gesicht etwas Faszinierendes, Anziehendes. Die dunklen, zu einem Knoten mit Pürzel geschlungenen Haare verliehen Strenge.
Markowitsch hob den Arm. „Da ist sie“, sagte er, stand auf und ging der Dame entgegen, deutete einen Handkuss an und geleitete sie zum Tisch.
Ramlundt hatte sich ebenfalls erhoben, Markowitsch machte jovial bekannt: „Herr Ramlundt, Frau Hauser-Lan.“ Sie reichte Ramlundt die Hand, Markowitsch, ganz Kavalier, rückte ihr, als sie Platz nahm, den Stuhl zurecht und winkte dem Kellner.
Frau Hauser-Lahn wünschte einen Kaffee. Bis dieser serviert wurde, erfuhren die Männer, dass es einen Stau gab, der die kleine Verspätung bedingte.
„Sie sind also Herr Ramlundt“, sie rührte in ihrer Tasse und sah ihn von unten her an, „derjenige, der meinem Vater auf seine alten Tage soviel Glück bescherte.“
„Na, na.“ Von Markowitsch kam ein leichter, scherzhafter Protest.
„Okay.“ Frau Hauser-Lan lachte. „Sie beide also.“
Dann verlor die Frau das Interesse an ihrem Kaffee. Sie straffte sich, lehnte sich zurück, dass, von Stephan Ramlundt mit einem verstohlenen Blick wohlvermerkt, ihre Brust die leichte Jacke glättend auswölbte. „Ohne Umschweife: Er hat mich beauftragt, Sie dem Kalisch abzuwerben, ihnen eine allseitig lukrative Zusammenarbeit mit ihm anzubieten, auf privater Basis sozusagen. Und die Betonung liegt auf allseitig!“
„Das heißt?“
„Das heißt, Herr Ramlundt, sowohl pekuniär als auch fachlich – bei einem harmonischen Miteinander, versteht sich.“
„Versteht sich!“ Stephan Ramlundt versuchte, seine Überraschung nicht sichtbar werden zu lassen. Gewissensbisse, die sich nach dem Deal mit Markowitsch ab und an meldeten, hatte er weitgehend verdrängt. Sein Verhältnis zum Recht, zur Gesetzlichkeit entsprach dem der Mehrheit dieser Gesellschaft: Man kann oder sollte alles tun, egal ob erlaubt oder nicht, was einem zum Vorteil gereicht, so lange man einigermaßen sicher sein kann, nicht selbst Schaden zu nehmen, nicht ertappt zu werden. Und besteht ein Risiko, sollte das Zulangen sich lohnen und so abgesichert sein, dass auch nach einem Konflikt mit dem Gesetz die eigene materielle Basis nicht beschädigt ist. ,In diesem Fall ist es mir gelungen’, dachte Stephan Ramlundt befriedigt, und er strich abermals über seine Brusttasche. Ganz im Unterbewusstsein gestand er sich ein, dass sein schnelles Einvernehmen mit Markowitsch auch ursächlich mit Sandra Georgius’ Haltung ihm gegenüber zu tun haben könnte. Ihr zeigen, dass es auch ohne Vaters Geld geht.
Weg von Kalisch, dem Ehrgeizigen, der neben sich nie die Bäume in den Himmel wachsen lassen würde. Fachlich auf eigene Füße mit eigenem Erfolg… Bot sich da eine Gelegenheit, eine Chance? „Darf ich darüber nachdenken?“, fragte er.
Frau Hauser-Lan nickte. „Natürlich, aber nicht zu lange. Sie wissen, es wartet eine äußerst interessante Arbeit, und das schürt Ungeduld. Übrigens, wenn Sie heute Abend nichts Gescheiteres vorhaben: Ich habe einen Vertragsentwurf dabei. Wir beide könnten uns wieder hier im Hotel treffen. Herr Markowitsch wird im Waldhaus zurückerwartet, und ich, wie anders, wenn ich schon einmal in der Stadt bin, schau mich in ein paar Läden um. Bis heute Abend? Sagen wir: zwanzig Uhr?“
„Bis heute Abend“, antwortete Stephan Ramlundt geschmeichelt. Aber es schien, als hörte sie nicht mehr zu. Sie hatte sich erhoben. „Also…“, sagte sie und schritt davon, als wäre der Fußboden ein Laufsteg.
Dass die beiden Männer zu ihrer Verabschiedung rasch
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