Begegnung in Tiflis
hatte eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Daß der Militärische Abschirmdienst (MAD) sie durchgesetzt hatte, erfuhr niemand. Man erhoffte sich bei einem Verhör Dimitris Aufschlüsse über die Ölpolitik Rußlands.
In Wahn bei Köln landeten sie, und auf dem Flugplatz stand, als die Passagiere ausstiegen, eine Frau mit blonden Haaren, einen großen Strauß roter Dahlien in den Händen. Ganz allein stand sie da, und der Wind zerzauste ihre kunstvolle Frisur, und das Kleid flatterte um ihren Körper, und die Blumen zitterten in ihren Händen.
»Agnes …«, stammelte Karl Wolter, als er über die Gangway aus dem Flugzeug kam. »Agnes!«
Und dann stürzte er die Treppe hinunter, warf seinen Mantel, den er über dem Arm trug, weg, einfach zur Seite auf die Erde, breitete die Arme aus und brüllte:
»Agnes! Agnes!«
»Das war nicht nötig«, sagte sie, als die erste Umarmung vorüber war und Karl ihr die Tränen von den Backen wischte.
»Was?« fragte er verblüfft.
»Das mit dem Mantel. Nun muß er gleich in die Reinigung.«
Und da lachte Karl Wolter, und er drückte seine Frau wieder an sich und über sein glückliches Gesicht leuchtete die Sonne.
»Nun bin ich zu Hause!« schrie er, daß es alle hören konnten. »Nun bin ich wirklich zu Hause …«
*
Wenn jemand nach über zwanzig Jahren zurückkommt, der bisher als tot galt, und wenn er auch noch aus Rußland kommt, so ist das nicht nur ein Festtagsessen für die Presse, sondern auch ein Magenbitter für die Behörden.
Mit den Zeitungen, den Illustrierten und dem Fernsehen wurde Karl Wolter schnell fertig. Er sagte einfach nein, gab keine Interviews, lehnte Exklusivangebote auf seine Story ab (weil ihn das Wort Story störte, denn sein Schicksal war keine Story, die man sensationell auswalzen sollte, sondern nichts weiter als ein randvolles Leben), warf zwei Filmdramaturgen hinaus, beleidigte einen Chefredakteur, der ihm einreden wollte, seine Erlebnisse in Rußland seien ein ›toller Knüller‹ … kurzum, nach drei Wochen sprach keiner mehr von Karl Wolter und seiner abenteuerlichen Heimkehr, da unterdessen ein schöner, für zehn Fortsetzungen geeigneter Massenmord geschehen war.
Anders war es mit den Behörden.
Behörden vergessen nichts!
Behörden sind dazu da, sich ständig an die Pflichten des Bürgers zu erinnern. Und den Bürger an seine Pflichten. Karl Wolter wurde erinnert.
Man bat ihn um die Lösung des Problems, daß seine Witwe, die keine Witwe war, nun schon zehn Jahre lang eine Witwenrente bezogen hatte, was offensichtlich unrecht sei, denn er, der Tote, lebe ja noch, was augenscheinlich war und mit Amtssiegel bestätigt.
Das Amt betätigte sich dann noch rechnerisch und bewies durch das kleine Einmaleins, daß die Witwe, die keine Witwe war, bisher sage und schreibe 46.000,- DM an Witwenrente in diesen zehn Jahren (nebst Zinsen und Zinseszinsen) kassiert hatte!
»… diese zu Unrecht ausbezahlten Rentenbeträge in Höhe von 46.372,02 DM müssen zurückgezahlt werden«, hieß es am Ende des freundlichen Schreibens.
Karl Wolter legte den Brief auf den Tisch.
Sein Kampf gegen die Bürokratie begann, und er war in der Stimmung und willens, ihn als Kolka Iwanowitsch Kabanow zu führen.
Freunde, das konnte nicht gutgehen! Jeder sieht das ein. Denn Kolka kämpfte mit Logik und gesundem Menschenverstand – zwei Dinge, die ihn in den Augen der Behörden zum abscheulichen Querulanten stempelten.
Es begann damit, daß die Wolters wieder nach Göttingen zogen und Agnes das Wäschegeschäft wieder eröffnete.
Die amtliche Rückkehr ins Leben ging schnell. Da er sich selbst vorweisen konnte, wurde er aus dem Sterberegister gestrichen und bekam eine Kennkarte. Eine Woche lang betrachtete man Karl Wolter als eine Art nationales Denkmal. Der Heimkehrerverband wollte ihn aufnehmen – Wolter lehnte zu aller Verblüffung schroff ab –, Traditionsverbände meldeten sich, sieben ehemalige Freunde tauchten auf, die mit ihm in Sibirien gewesen sein wollten, aber Wolter konnte sich nicht erinnern, sie jemals gesehen zu haben, und außerdem baten diese sieben ausnahmslos um Hilfe, um Darlehen, Kredite oder wollten einfach – aus alter Kameradschaft – pumpen. Kurzum: Es war eine Woche lang ein großes Spektakel um den heimgekehrten Karl Wolter, bis er mit seiner Agnes wieder ruhig im Hinterzimmer des kleinen Wäscheladens sitzen konnte und Kaffee trank.
Zwanzig Jahre waren nachzuholen. Über zwanzig Jahre mußte man Bericht geben. Es war für
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