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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einmal für Vater.«
    Über den Vorfall schwieg man in der Familie Wolter. Aber jeder zitterte vor einem neuen Brief oder gar vor einer Vorladung zum Gericht wegen Beamtenbeleidigung. Doch sie traf nicht ein. Der Oberbürgermeister, selbst ein ehemaliger Kriegsgefangener, schlug diesen Vorfall im Rathaus nieder.
    Karl Wolter hatte noch einmal Glück mit der Demokratie.
    *
    In der sowjetischen Botschaft lebte Jurij Alexandrowitsch Borokin isoliert und wie geächtet. So wenigstens kam es ihm vor, nachdem Oberst Jassenskij wieder abgereist war. Und als man in Rolandseck erfuhr, daß Bettina samt ihrem Vater und dem sowjetischen Ölingenieur Dimitri Sergejewitsch Sotowskij über Beirut nach Westdeutschland gekommen waren, gestand sich Borokin ein, daß die Pleite vollkommen war.
    Aus Moskau kamen Telefongespräche, bei denen Borokin wie ein Idiot abgekanzelt wurde. Nach dem alten Grundsatz, daß für einen Knüppel auch der zu schlagende Esel vorhanden sein muß, wurde Borokin zum Sünder für alle Fehlleistungen gemacht, worüber General Oronitse, aber vor allem Oberst Jassenskij vom GRU sehr glücklich waren. Es ist immer gut, einen leicht erreichbaren Schuttabladeplatz zu haben.
    Borokin nahm es hin wie eine Naturkatastrophe. Hagel kann man nicht verhindern, Moskaus Bann ebensowenig. Man konnte sich nur bemühen, bis zuletzt einen guten Eindruck zu hinterlassen.
    Die große Stunde Borokins schlug, als vom Hauptquartier des GRU aus dem Kreml der Befehl kam: »Sotowskij muß in die UdSSR zurückgeführt werden. Die Aktion ist unauffällig zu arrangieren.«
    Wer Särge entführt, kann auch einen Lebenden ›zurückführen‹. Und da der Auftrag ganz klar war, machte sich Borokin ans Werk.
    Er fuhr nach Göttingen und mietete sich dort ein möbliertes Zimmer unter dem Namen Ernst Hauber. Von Moskau hatte er Fotos bekommen, und er erkannte Dimitri sofort, als er ihn zusammen mit Karl Wolter und Bettina Spazierengehen sah.
    Göttingen ist ein günstiger Ort, dachte Borokin. Die Zonengrenze ist in der Nähe, und es wird einfach sein, ihn rüberzubringen, wenn man ihn erst einmal fest in der Hand hat.
    Wenn Bettina und Dimitri, wie es das Recht der Verliebten ist, Arm in Arm in den Parks spazierengingen, ließ Borokin sie keinen Moment aus den Augen. Er brauchte keine Vorsicht, weder Bettina noch Dimitri kannten ihn. Nur wenn Wolfgang Wolter am Wochenende zu Besuch kam, blieb Borokin im Hintergrund.
    »Handeln Sie schnell«, rief ein paar Tage später Oberst Jassenskij aus Moskau an.
    Plötzlich hatte Moskau keine Zeit mehr. Borokin konnte sich das nicht erklären, aber es ist auch nicht die Aufgabe eines sowjetischen Funktionärs, über Befehle nachzudenken.
    Handeln Sie schnell … Über Bettina und Dimitri verdunkelte sich der Himmel, und sie merkten es nicht.
    *
    An einem Sonntag war's, Wolfgang war wieder zu Besuch in Göttingen, als der schwelende Brand sich zum vollen Feuer entwickelte.
    Schon seit Beirut herrschte zwischen Wolfgang und Dimitri eine Kälte, die nur durch die Gegenwart Karl Wolters nicht zum offenen Streit wurde. Der kalte Krieg der Völker war nun bis in die Familie gedrungen, und Wolter sah es mit maßlosem Erstaunen und begriff es nicht. Eifersucht Wolfgangs auf einen plötzlichen Halbbruder war es nicht, menschlich würden sie sich gut verstehen, wirklich wie Brüder – aber da war etwas, was Karl Wolter einfach nicht verstehen wollte: Der politische Schnitt zwischen Ost und West.
    Wolfgang Wolter war deutscher Offizier. Seine Welt war klar vorgezeichnet, durch die Schule, Ausbildung und Beruf. Er trug eine Uniform, und er hatte einen Eid geleistet, Deutschland notfalls mit seinem Leben zu verteidigen. Der Blick aber ging nicht in die Runde, wenn von Verteidigung geredet wurde, sondern nur nach Osten. Von dort kam die Bedrohung der freien Welt, Wolfgang Wolter kannte es nicht anders. Seit er denken konnte, hatte man es so in sein Hirn getrieben.
    Und da war Dimitri Sergejewitsch Sotowskij, der große und schwarzlockige Mann aus Tbilisi, ebenfalls von Kindesbeinen an in einer Ideologie erzogen; von den Komsomolzen an bis zur Universität, vom ersten roten Halstuch bis zur Anstellung als Ölingenieur in Grusinien. Er hatte kommunistisch denken gelernt, und er hatte sich wohl gefühlt. Nun war er im Westen, aus Liebe geflüchtet aus der russischen Heimat, und nur wer ein Russe ist, kann ermessen, was das bedeutet. Er blieb Kommunist, warum sollte er sein ganzes Leben ändern? Er träumte nicht von der

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