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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gesehen worden, eine Rundfrage bei allen Bonner und Kölner Hotels war eine Fehlanzeige, und als schon alle ziemlich ratlos waren, kam ein Gefreiter – man bedenke, ein Gefreiter! – auf die Idee: »Ich schlage Herrn Hauptmann vor, einmal in Rolandseck nachzusehen. Vielleicht ist der Herr Oberleutnant dort.«
    Im allgemeinen sind Ideen aus dem Mannschaftskreis von vornherein Mist. Wo käme man hin, wenn ein Rekrut klüger ist als der Kompaniechef?! Die gesamte Dienstmoral geriete ins Wanken.
    In diesem besonderen Fall jedoch ließ man sich dazu herab, den Gedanken des Gefreiten aufzugreifen. Der Hauptmann gab den Befehl: »Ein Wagen zur Botschaft Rolandseck!« Und als dieser Wagen wirklich kurz darauf per Sprechfunk meldete, man sehe den Oberleutnant Wolter wartend wie eine Katze vor einem Mauseloch, bekam der Hauptmann ein Lob vom Herrn Oberst. Denn der Weg von der Idee zum Befehl ist der Weg eines Feldherrn. Man muß das wissen, wenn man den Marschallstab im Tornister trägt.
    Mit verkniffenem Gesicht sah sich Wolfgang Wolter von vier Kameraden in Zivil umringt, die die Tür seines Wagens öffneten und ihn mit freundlichem Schulterklopfen vom Sitze auf die Straße zogen.
    »Deine Zwiebel fährt der Jupp nach Hause«, sagte der Kamerad, der Wolter freundschaftlich eingehakt zu dem anderen Wagen führte. »Mensch, Wolfgang, aus dem Alter, Old Shatterhand zu spielen, bist du doch heraus!«
    »Ihr verhaftet mich?« fragte Wolfgang leise. Seine Augen waren ausdruckslos.
    »Der Oberst hat nur gesagt, wir sollten uns etwas um dich kümmern. Ein kranker Mensch, ohne Pflege, der herumirrt.«
    »Leckt mich am Arsch!« sagte Wolter dumpf.
    »Später, wenn wir Appetit darauf haben.« Sie drückten Wolter in die Polster, sprangen dann in den Wagen und fuhren ab. Aus dem Rückfenster sah Wolter, daß ihnen ein Wagen folgte, am Steuer Leutnant Josef Lobegans, den sie beim MAD den ›verhinderten Schwan‹ nannten.
    Die ›Entführung‹ Wolfgang Wolters geschah – ohne daß man es wußte – zum richtigen Zeitpunkt. Eine halbe Stunde später verließ ein dunkler Wagen die sowjetische Botschaft und fuhr den Rhein entlang, über die Kennedy-Brücke und auf der anderen Seite zum Flugplatz Wahn. Hinten im Fond saß zurückgelehnt Jurij Alexandrowitsch Borokin, bleich, eingefallen, um Jahre gealtert. Abgeschoben nach Rußland, das ihn nicht als schützende Heimat, sondern als anklagende Beleidigte erwartete.
    Die sowjetische Botschaft und auch Moskau hatten schnell reagiert, als das AA in Bonn die Ausweisung Borokins verfügte. Es gab keinen üblichen Protest, keine Presse- und Rundfunkkommentare in Rußland, es wurde nicht einmal darüber debattiert. Aus dem Kreml kam der Befehl: Zurück mit Borokin! Und reibungslos, fast gespenstisch still schaffte man Borokin nach Wahn zum Flugzeug.
    Nur erfolgte, ebenso still, der Gegenzug in Moskau. Ein Attaché der Kulturabteilung der deutschen Botschaft wurde von der sowjetischen Regierung für unerwünscht erklärt und nach Deutschland zurückgeschickt. Das AA nahm es gelassen hin. Attachés gab es genug. Und außerdem war es kindisch, dieses Mann-für-Mann-Spiel. Ein Nadelstich mehr in dem durchlöcherten Ballon, an dem die Verständigung zwischen Ost und West hing.
    Was mit Borokin geschah, wer weiß es? Er kam in Moskau an, und keiner sprach mehr von ihm. Rußland hat fast zweihundert Millionen Einwohner; wenn man sich um jeden kümmern wollte, wo käme man dann hin? Es kann sein, daß er jetzt in Alma Ata lebt, oder am Ladogasee, oder in Irkutsk oder sogar in Smolensk. Auch in Jalta wäre möglich oder – seien wir verwegen – sogar in Tiflis. Es kümmerte keinen. Auf jeden Fall verschwand der Name Jurij Alexandrowitsch Borokin aus der Politik, und es kann sein, daß man ihn wiedertrifft als Leiter eines Heimes pensionierter sowjetischer verdienter Offiziere.
    Es kann sein …
    Kritisch – in Bonn wußte man das zunächst nicht, denn niemand kannte ihn – wurde es, als statt Borokin ein neues Mitglied der sowjetischen Botschaft am Rhein eintraf: Ein gewisser Safon Kusmajewitsch Jassenskij. Ein schiefnasiger Mensch mit braunen Nikotinfingern, unhöflich und grob, und jeder wunderte sich, daß gerade so ein Individuum die Kulturabteilung übernahm.
    Und nun geschah etwas in Bonn, das typisch ist: Der MAD war ratlos. Das Amt für Verfassungsschutz dagegen war von der Harmlosigkeit Jassenskijs überzeugt. Der Bundesnachrichtendienst atmete auf. Daß Borokin durch diesen ungebildeten

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