Begegnungen (Das Kleeblatt)
einmal, wenn sie ihn während seiner Pausenzeit anrief! Sie wollte sich lieber nicht vorstellen, was er tun würde, sollte sie tatsächlich eines Tages an seinem Arbeitsplatz auftauchen.
Erwartungsvoll schaute sie auf, als d ie Tür zum Personaleingang aufgestoßen wurde. Sie erkannte die Kollegen ihres Mannes, die einer nach dem anderen das Gebäude verließen. Von Adrian indes war nicht die geringste Spur zu sehen. Geistesabwesend blickte Susanne auf die Uhr und spürte den schmerzhaften Knoten, zu dem sich ihr Magen wand.
Ja, zugegeben, sie hatte sich ausnahmsweise überpünktlich auf den Weg gemacht. Mitunter kam es vor, dass es für das Küchenpersonal nicht ganz so viel zu tun gab und Adrian seine Arbeit früher beenden konnte. Und gerade heute wollte sie ihn auf keinen Fall verpassen. Es sollte ein perfekter Abend für sie beide werden.
Hoffentlich tat er ihr den Gefallen und sah in der Neuigkeit von ihrer Schwangerschaft eine positive Überraschung. Auch ihn hatte es damals betroffen gemacht, als sie ihm von der Fehlgeburt erzählte. Warum also sollte er sich jetzt nicht freuen? Vielleicht würde er dann endlich damit aufhören können, sich Vorwürfe zu machen, weil er ihr nach dem Untergang der „Fritz Stoltz“ und dem Verlust ihrer Tochter nicht beigestanden hatte. Nun bot sich die Gelegenheit, alles Versäumte nachzuholen.
Wieder blinzelte sie die Leuchtdioden an. Inzwischen sollte er wirklich Feierabend haben! Sie stieg aus dem Auto und schloss ab, ohne dabei die Hintertür des Hotels aus dem Auge zu verlieren. Ob sie sich nicht doch in der Küche nach ihm erkundigen sollte? Möglicherweise hatte sie ihn verpasst und er war längst auf dem Nachhauseweg? An der Straßenecke hatte sie ein Kartentelefon entdeckt, von dem aus sie anrufen könnte.
Fünfundzwanzig Minuten! Na schön, fünf würde sie ihm noch geben, dann müsste er …
Sie atmete erleichtert auf, als sie Adrian Sekunden später durch den Haupteingang des Hotels kommen sah.
Nein, nicht gehen! Das Lächeln auf ihrem Gesicht gefror und die Vorfreude wich schlagartig bitterer Ernüchterung. Ätzende Übelkeit stieg ihre Kehle hoch und sie presste die Faust auf ihren Mund, um nicht aufzuschreien.
An der Seite eines ihn überragenden Mannes wankte Adrian ins Freie. Es war nicht zu übersehen, dass er getrunken hatte. Ganz deutlich konnte sie sein unartikuliertes Gegröle hö ren. Er war dermaßen betrunken, dass er über seine eigenen Füße gestolpert wäre, hätte der andere nicht blitzschnell seinen Arm gepackt, um ihn zu stützen.
Verdammter Kerl , von wegen betrunken! Sturzbesoffen war er!
D ann blieb ihr für einen Moment das Herz stehen. Wie ein Blitz schlug die Erkenntnis in ihr ein und erfüllte sie mit eisigem Schrecken. Sie wischte sich heftig über die Augen in der Hoffnung, einem Irrtum aufgesessen zu sein. Aber sie hatte Adrians Begleiter trotz der Dunkelheit genau erkannt. Viel zu gut kannte sie die hünenhafte Gestalt. Sie erinnerte sich an den wiegenden Schritt des Seemannes genauso wie an das dunkle, melodische Lachen, das jetzt von der anderen Straßenseite zu ihr herüber dröhnte.
Matthias Clausing!
Zweifellos handelte es sich um den smarten, selbstherrlichen Kapitän, der aussah wie einer dieser Männer, vor denen Mütter ihre Töchter vergeblich warnten und die bei Vätern regelmäßig Aggressionen auslösten. Der Kapitän des Kühlschiffes „Heinrich“, auf dem sie und Adrian sich nach dem Untergang der „Fritz Stoltz“ das zweite Mal begegnet waren. Seit ihrem Abstieg von der „Heinrich“ hatte sie nichts mehr von dem geradezu lächerlich attraktiven Mann gehört, mit dem sie eine Nacht verbracht hatte, obwohl sie sich zu diesem Zeitpunkt bereits für Adrian entschieden hatte.
Um bei der Wahrheit zu bleiben, war sie vor allem deswegen von der „Heinrich“ geflüchtet, um in Zukunft von dem Kapitän weder etwas zu sehen noch zu hören.
Oder in Versuchung geführt zu werden.
Mehr noch als die Erkenntni s, dass Adrian getrunken hatte – das war ihm inzwischen zur Gewohnheit geworden und er hatte es nie vor ihr verborgen – bestürzte sie die Tatsache, dass er ausgerechnet mit Matthias Clausing auf Sauftour gegangen war.
Matt ’n, den Adrian angeblich seit seiner Sandkastenzeit kannte, der sich sein Freund nannte und genau wusste, wie es um die Gesundheit des Schiffskochs bestellt war. Hatte er Adrian vor einem halben Jahr nicht von Bord seines Schiffes haben wollen, weil er sich angeblich Sorgen
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