Begegnungen (Das Kleeblatt)
Ungeduld. Ihr seid seine Familie. Er braucht euch und deswegen darfst du jetzt nicht aufgeben.“
„Er hasst mich. Muss er nach dem, was heute passiert ist, nicht glauben, ich wollte ihm sein Baby wegnehmen?“
„Sag nicht so etwas. Du weißt, das ist nicht wahr.“
Er blickte mit einem verträumten Lächeln auf die kleine geschmückte Tanne, die neben dem Küchenfenster stand. „Es ist das erste Mal, dass ich mich darauf freue, in diesem Haus Weihnachten feiern zu können. Nichts wirkt mehr ganz so schlimm, so hart und traurig, wenn man einen Weihnachtsbaum aufgestellt hat. Wenn die Geschenke darunter auf dem Boden liegen und man die Vorfreude fast nicht mehr erträgt. Das ist eine Art zu sagen, dass es immer Licht und Hoffnung gibt. Und dass man das Glück hat, eine Familie zu haben, mit der man diese Dinge teilen kann.“
„Du hast Recht, aufgeben passt nicht zu mir.“ Suse schniefte noch einmal und murmelte verlegen: „Danke, Matt’n. Heulen tut ganz gut, damit hast du nicht mal so falsch gelegen. Natürlich, was sonst? Dummerweise hilft es nicht viel. Und … es tut mir leid.“
„Was tut dir leid?“
„Na, dass ich mit meiner albernen Hysterie alles verdorben habe. Das Wiedersehen. Unser Weihnachtsfest. Und ja, es tut mir leid, dass ich unausstehlich zu dir bin, obwohl du vielleicht wirklich nichts anderes im Sinn hattest, als zu helfen.“
Sie legte ihm ihren Zeigefinger über den Mund, als sie hörte, wie er in Vorbereitung eines leidenschaftlichen Protestes tief Luft holte.
„Und ich entschuldige mich dafür, dich geschlagen zu haben und …“, sie tippte auf seine von ihren Tränen fleckige Hemdbrust, „dass ich dir dieses teure Stück ruiniert habe. Obwohl es bei dir auf eins mehr oder weniger sicherlich nicht ankommt. Aber es ist doch immer dasselbe mit mir, wenn ich ein Taschentuch brauche, kann ich nirgends eins finden.“
Noch bevor sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, wedelte Matthias – von der Erinnerung an eine frühere Suchaktion mit fatalem Ausgang noch immer peinlich berührt – mit seinem blütenweißen Taschentuch vor ihrer Nase.
„Dafür bin ich schließlich da. Ach Susanne.“ Behutsam nahm er ihren Finger von seinen Lippen. „S ei versichert, Suse, all das kann ich verschmerzen.“
Sie wagte nicht zu fragen, was es dann war, was ihn schmerzte. Es schien in ihrer beider Interesse zu liegen, wenn sie es nicht aussprachen, überhaupt nie mehr darüber sprachen.
„Wir sollten uns langsam um unseren ungebetenen Gast da draußen kümmern. Umso schneller sind wir ihn hoffentlich wieder los.“
Sie schob ihre Hände zwischen sich und die muskulöse Brust des Mannes. Es war, als würde sie sich seiner Berührung erst jetzt bewusst. Sie fühlte sich nicht wirklich unbehaglich, obwohl sie sich das plötzlich einzureden versuchte. Denn in Wahrheit hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt seine tröstliche Nähe genossen.
Widerwillig gab er sie frei und versuchte, die für sie beide peinli che Situation zu entschärfen, indem er wenig geistreich bemerkte: „Der Kaffee ist fertig“ und auf die Kaffeemaschine deutete.
Suse blickte zu Matt ’n auf und von ihm zur gefüllten Kaffeekanne hinter sich auf der Arbeitsplatte. Sie runzelte die Stirn.
„ Ja. Tatsächlich“, erwiderte sie schließlich mit ähnlichem Einfallsreichtum.
„Das geht ziemlich schnell.“
„Ein gutes Stück.“
Der Scharfsinn ihrer Unterhaltung vermochte nicht zu vertuschen, wie es in ihrem Inneren wirklich aussah. Suse schoss herum und machte sich mit unnötigem Eifer am Küchenschrank zu schaffen, stellte Geschirr, Zucker und Sahne auf ein Tablett und drückte es resolut in Clausings Hände.
Als er außer Sicht war, entspannte sie sich. Und sie stellte fest, dass nicht einmal diese beunruhigende Szene sie erschüttern konnte. Seltsam, aber die vergangenen Tage waren so grauenhaft gewesen – und alles seinetwegen! – und nun tröstete ausgerechnet seine vornehme Rücksicht sie. Und wie hatte er das gemacht? Er hatte sie einfach festgehalten, ohne räuberische, eigensüchtige Absichten, lediglich … festgehalten. Für einen kurzen Augenblick hatte er seine Arroganz und seine aufdringliche Entschlossenheit fallen lassen und war … nett gewesen. Sehr nett.
Und wenn nicht Adrian … Na ja, das tat nichts zur Sache.
23. Kapitel
Im Wohnzimmer ließ sie sich in einen Sessel sinken und verschränkte mit provokantem Grinsen die Arme vor der Brust, während sie sich betont gelangweilt in die
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