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Begegnungen (Das Kleeblatt)

Begegnungen (Das Kleeblatt)

Titel: Begegnungen (Das Kleeblatt) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
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geliebt hatte, war offen wie ein Buch gewesen, offener als jedermann sonst. Wenn er jetzt wissen wollte, woran sie dachte, dann musste er sie aufmerksam studieren, musste auf jede noch so kleine Nuance ihres Gesichtsausdrucks und ihrer Körpersprache achten, bevor sie wieder hinter ihrem Schutzwall verschwand.
    Verlegen hob er d ie Schultern. „Selbstverständlich bin ich hier. Wo sonst hätte ich hingehen sollen? Dieses von Gott verlassene Nest bietet nicht viel Abwechslung für verwöhnte Reisende. Und ich liebe Unterhaltung.“
    Unschlüssig blickte Beate auf. Ihr verräterisches Herz schlug heftig und stolperte vor Aufregung, während sie den Mann verstohlen betrachtete. Vom ersten Moment an, als sie nach Paris gekommen war, damals, vor neun Jahren, hatte er ihre Aufmerksamkeit gefesselt. Sie hatte ihm einen Krankenbesuch abstatten wollen und war von ihm nur Sekunden später in hohem Bogen aus dem Zimmer geworfen worden. Hartnäckig und stur, wie sie war, hatte sie kurz darauf erneut an seinem Bett gesessen. Sie war auch dann bei Alain geblieben, als ihm nach einer Blutvergiftung und einem akuten Nierenversagen ein Spenderorgan transplantiert werden musste. Endgültig für ihn entschieden hatte sie sich, nachdem sie erfuhr, wem er die Verletzungen verdankte, die ihn fast das Leben gekostet hatten.
    Oh ja, sie würde nie vergessen, wie sie damals voller Begeisterung seine Kampfansage angenommen hatte, ganz nach dem Motto, erst wieder ruhig schlafen zu können, wenn sie ihren Kopf durchgesetzt hatte. Dabei hatte sie sich von Alain Germeaux gleichermaßen angezogen wie abgestoßen gefühlt. Sein widersprüchlicher Charakter machte es ihr anfangs sogar unmöglich, mit ihm zu reden. Alain konnte geistreich und witzig sein und im nächsten Augenblick verletzen und zerstören.
    Trotz allem faszini erte er sie, dieser hoch gewachsene Franzose mit dem schwarzen, viel zu langen Haar und den vor Intelligenz sprühenden Augen. Beate erinnerte sich an den Geschmack seines ausdrucksvollen Mundes und musste unwillkürlich schlucken.
    „ Du solltest wissen, dass ich ohne dich in Zukunft nirgends mehr hingehen werde“, fügte er leise hinzu.
    Es fiel ihm nicht schwer , an Beates angespannter Miene zu erkennen, wie tief seine Worte sie trafen. Aber er wollte sich nicht länger zurückhalten, bis es ihn derart schmerzte, dass er meinte, verrückt zu werden. Er musste nachholen, was er während der letzten Jahre verpasst hatte. Und er würde keine Gelegenheit mehr auslassen, Beate zu erklären, wie sehr er sie brauchte.
    „Wo … h ast du ein Hotelzimmer bekommen? Hier in der Stadt?“
    „Ja.“
    „Du möchtest dich bestimmt schnellstmöglich waschen und rasieren und wieder einen Menschen aus dir machen.“
    Alain strich sich über das kratzende Kinn und verzog das Gesicht zu einer schiefen Grimasse. Tatsächlich hatte er sich seit Tagen nicht um sein Aussehen gekümmert. Seine Sorge um Catherine hatte ihn davon abgehalten, sie auch bloß eine Minute aus den Augen zu lassen.
    Als ob ein unrasiertes Gesicht und ungewaschenes Haar für ihn noch länger von Bedeutung wären, jetzt, nachdem er seine Familie wiedergefunden hatte!
    „Du hast Recht. Genauso wäre eine Mütze voll Schlaf nicht übel. Der Fußboden im Krankenhaus hat mir nicht gerade sanfte Träume beschert“, gab er schließlich zögernd zu.
    Er rührte sich keinen Millimeter vom Fleck, sondern betrachtete mit zusammengekniffenen Augen ein junges Pärchen, das eng umschlungen die Straße überquerte und kichernd hinter einem Torbogen verschwand. Wer hatte Beate und ihm diese Zeit der Unbeschwertheit und Sorglosigkeit gestohlen? Wann hatte er all seine hochfliegenden Träume von einer glücklichen Zukunft verloren?
    Und an wem , zur Hölle, sollte er seinen Zorn darüber auslassen?
    „Also dann, worauf wartest du, Alain? Wir … vielleicht … sehen wir uns morgen?“
    Er wandte sich um und musterte Beate eingehend. Sie erkannte das Misstrauen in seinen Augen und wollte ihm etwas Tröstliches sagen. Allerdings wollte sie ihn nicht belügen, also schwieg sie besser.
    „Bea, du darfst nicht wieder gehen. Nicht, bevor ich mit dir geredet habe. Es gibt so vieles, was du wissen solltest. Gib mir die Chance, auf die ich seit sieben Jahren gewartet habe.“
    Ihre Augen weiteten sich. Sie hatte ebenfalls vergessen, dass er ihre Gedanken lesen konnte. „Ich würde Cat in diesem Zustand nicht …“ Sie verstummte so abrupt, wie sie diese Worte hervorgestoßen hatte und

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