Begegnungen (Das Kleeblatt)
beiden vor. Ein sonderbares Gefühl von Ruhe und Einverständnis lag über den Menschen, die sie liebte. Deswegen drängte sie ihre Eltern nicht zum Bleiben, als sie eine Stunde später das Krankenzimmer verließen.
„ Ist das nicht ganz außergewöhnlich für ein Kind in ihrem Alter? Sie ist ein richtiger Engel!“, schwärmte Alain, während sie durch das Dorf in Richtung Hotel gingen. „Was immer du ihr erklärst, sie hört dir aufmerksam bis zum Ende zu und überlegt sich genau, was sie antwortet. Sie ist so verständnisvoll und warmherzig. Genau wie du. Und sie lacht für ihr Leben gern. Du hast ihr wahrlich das Beste von dir mitgegeben. Das Allerbeste. Und dafür möchte ich dir danken. Für diese Tochter. Für das Zeugnis unserer Liebe.“
„ Oh, Alain, das ist nett. Das ist das Schönste, was du mir hättest sagen können.“
„ Glaub das nicht, denn ich habe so vieles noch nicht gesagt. Ich habe bereits so viel verpasst und nachzuholen.“
„Du wirst alles nachholen.“
„Werde ich das? Oder möchtest du nur …“ Er holte tief Luft und beendete seinen Satz eine Spur leiser: „Möchtest du, dass ich Ruhe gebe, dich zu bedrängen, mit mir nach Paris zu kommen? Inzwischen habe ich regelrecht Angst vor neuen Träumen. Sollte ich tatsächlich wagen zu hoffen, unser Leben könnte so werden, wie ich es uns seit Jahren wünsche? Oder werde ich wieder in den Staub getreten, verletzt, vernichtet? Nachdem Pierre alles kurz und klein geschlagen hat, was ich bis dahin egoistisch und undankbar als selbstverständlich genommen habe, hat mich deine Liebe schon einmal von unserer gemeinsamen Zukunft träumen lassen“, seufzte er verhalten. „Und was ist daraus geworden? Sieh mich doch an. Kann vielleicht noch etwas daraus werden? Und wer zum Teufel gibt mir endlich die Antworten, hinter denen ich seit Jahren herjage?“
Plötzlich kramte er in seinen Hosentaschen. Das Gesicht zu einem schiefen Lächeln verzogen, holte er ein blaues Etui hervor. Lässig drehte er es in seiner Hand und strich gedankenverloren über den goldenen Schriftzug auf dem Deckel.
„Das hatte ich dir damals geben wollen. Das und meine Liebe, meine Hand und mein Versprechen.“
Mit ausdrucksloser Miene reichte er das Kästchen an Beate weiter, als hielte er e inen Kieselstein in der Hand. „An jenem Abend haben wir uns geliebt. Dann wollte ich etwas zu trinken holen, selbstverständlich sollte es Champagner sein. Das Beste für dich, für die Beste. Mein Antrag sollte geradezu filmreif erfolgen. Ich wollte vor dir auf ein Knie sinken, dir dabei ganz tief in die Augen schauen und dich um deine Hand bitten. Richtig romantisch, kitschig und wunderschön sollte es werden. Aber dann … Ich muss die Schachtel verloren haben, als Pierre … als er auf mich losging. Ich konnte mich hinterher nicht einmal daran erinnern, sie die ganze Zeit über in der Hand gehalten zu haben. Ich wollte doch bloß in die Küche – und kam nicht weiter als bis zu Pierres Büro. Mit einem Mal war nichts mehr von Wichtigkeit. Das, was ich bis dahin erreicht hatte, was ich gerade tun wollte oder für unsere Zukunft plante – alles bedeutungslos, sobald ich Pierre vor dem Video sitzen sah und er mich verhöhnte. In dieser Sekunde wurde mir klar, dass nichts mehr sein würde, wie es einmal war. Einer von uns würde als Verlierer vom Platz gehen. Und bis heute bin ich nicht sicher, ob dieser eine wirklich Pierre war.“
Er strich sich umständlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, bemüht seine Fassung nicht zu verlieren. Es war eine blöde Idee , sich absichtlich an etwas zu erinnern, das weit zurücklag. So lange her und doch quälte es ihn noch immer dermaßen, dass er sich bei dem bloßen Gedanken daran vor Schmerz innerlich krümmte.
„Wahrscheinlich h at Pierre mir die Erinnerung an meinen Heiratsantrag aus dem Gedächtnis geschlagen, so wie er mich mit Gewalt dazu zwingen wollte, dich aus meinem Herzen zu verbannen. Durluttes Männer haben die Schachtel gefunden und mir später gegeben, irgendwann, als ich wieder ansprechbar war. Und als der richtige Zeitpunkt für einen Antrag längst vorüber war.“
Er stieß die Luft mit einem verächtlichen Grunzen aus. „ Aber was soll’s? Hätte ich bereits damals gewusst, dass es noch viel dicker kommen würde, hätte ich Pierre nicht daran gehindert, mich zu töten.“
„Alain, so etwas darfst du nicht sagen!“ Beate war stehengeblieben und packte entschlossen seine Hände.
„Ach ja? Und warum nicht?
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