Begegnungen (Das Kleeblatt)
Pierre gemacht.“
„Oh nein, sag …“
„Sei still. Bitte.“ Sie legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen. „Ich habe nicht gewusst, wie ich mich dir gegenüber verhalten sollte. Es war dumm, ich weiß, trotzdem habe ich mich in jenen Tagen so verdammt schuldig gefühlt an dem, was Pierre … was er dir angetan hat.“
Alain schluckte betreten und presste die Lippen fest aufeinander. Es war ein Irrtum gewesen zu glauben, die Erinnerungen würden ihm nichts mehr anhaben können. Auch er hatte seine Albträume, seine eigene Hölle, die er mit niemandem teilen konnte.
„Wären wir beide nicht zusammengekommen, hätte Pierre niemals gewagt dich anzufassen und … und derart zu behandeln.“
„Doch ! Bea, er hätte es getan, wann und in welcher Form auch immer. Du hast mich einmal gefragt, woher ich diese Narbe habe.“ Er deutete mit dem Kinn auf seinen linken Oberarm, der vom Stoff seines Hemdes verdeckt war. Ohne sie zu sehen, erinnerte sich Beate genau an die akribisch ausgeführten Schnitte, die viel zu gleichmäßig und perfekt waren, als dass sie von einem Unfall hätten stammen können.
„Das ist eines der ersten Erinnerungsstücke an Pierre. Ich weiß nicht genau, wie alt ich damals war, drei oder vier, höchstens fünf, als er dieses verdammte Muster mit einem Küchenmesser in meine Haut geschnitten hat. Du musst wissen, er liebte nicht allein die Vollkommenheit, sondern begeisterte sich genauso für hübsche Muster. Er war ganz wild darauf, seinen Besitz mit seiner unverkennbaren Handschrift zu kennzeichnen und für alle sichtbar zu machen.“
„Das habe ich geahnt. Warum sonst hattest du mir auf meine Frage nach dieser Verletzung nicht antworten wollen?“
„Hättest du mir geglaubt, wenn ich dir auf den Kopf zu gesagt hätte, dass der Mann, der vorgab, dein dich über alles liebender Vater zu sein, ein Sadist war?“
„Damals?“ Sie entschuldigte sich mit einem Schulterzucken. „Himmel, ich war dermaßen blind! Blind und dumm. Warum hast du nie versucht, mir die Wahrheit über ihn zu erzählen?“
„Aus eben diesem Gru nd. Du wolltest dir nicht eingestehen, welch durch und durch verdorbener Mensch sich hinter Pierres makelloser Fassade versteckte. Ich hätte mir den Mund fusselig reden und dir hunderte von Argumenten und Beweisen liefern können. Für dich wäre er immer der Vater gewesen, der dir stets all seine Aufmerksamkeit schenkte.“
Schweigend beobachtete sie, wie er ein Croissant in mundgerechte Stücke riss und lustlos darauf herum kaute. „Alain? Sag mir bitte die Wahrheit.“
„ Die Wahrheit?“
„ War die Entführung ebenfalls sein Werk?“
„Wie kommst du denn darauf?“, murmelte er mit gelangweiltem Gesichtsausdruck und wandte sich ab, damit sie seine Augen nicht sehen konnte, die sich schwarz vor Hass färbten.
„Die Wahrheit, Alain. Bitte.“
Er senkte den Blick und schluckte. Er verschränkte die Hände im Nacken und starrte hinauf zur Decke. Die Sekunden verrannen, während er fieberhaft nach der bestmöglichen Ausrede suchte. Keine Lügen mehr, mahnte er sich streng. Keine Ausflüchte. Viel zu viele davon hatten in der Vergangenheit sein Leben zerstört.
„Er war es also.“
„Ja.“
„Gütiger Gott! Er hat in diese Richtung ermittelt und ich wollte ihm nicht glauben. Durlutte, dieser Kommissar, du weißt schon, der damals nach dem … danach zu uns kam. Selbst dann noch, als es für jeden anderen längst offensichtlich war, wie brutal und skrupellos Pierre handelte, hielt ich es für absolut ausgeschlossen, er könnte etwas damit zu tun haben.“
„Mach dir keine Vorwürfe, Bea. Niemand hätte das geglaubt. Nicht einmal ich, der ihn eigentlich am besten hätte kennen müssen. Ja, er hat diese Kerle angeheuert, um sic h die feinen Hände nicht schmutzig zu machen. Zu diesem Zeitpunkt waren wir uns beide, du und ich, noch nicht einmal begegnet. Pierre hat seit meiner Geburt keine Gelegenheit ausgelassen, um mich zu verletzen und zu quälen. Das hatte nichts mit dir zu tun, Bea. Nicht das Geringste. Und es ist schon gar nicht deine Schuld, dass Pierre mich hasste.“
„Aber wenn ich dich in jener Nacht nicht losgeschickt hätte, um etwas zu trinken aus der Küche zu holen …“
„Halt mal, halt! Zufällig weiß ich ganz genau, dass du mich nicht geschickt hast. Du hattest nicht den blassesten Schimmer davon, was ich überhaupt vorhatte.“
„ Aber wenn ich dich zurückgehalten hätte …
„Hör auf, Bea! Weshalb hättest du das tun
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