Begegnungen (Das Kleeblatt)
Schleier sah er, dass Beate den Mund geöffnet hatte und ihn erwartungsvoll anblickte. Er konnte sie nicht verstehen.
Von neuem setzte sich die Angst wie eine tonnenschwere Last auf seine Brust und drückte ihm die Kehle zu. Seine Augen folgten voller Panik Beate, die vom Rand des Bettes aufstand und das Zimmer verließ. Er wollte schreien, sie solle nicht gehen, doch er brachte nicht den leisesten Pieps über seine Lippen. Warum konnte er nicht einmal seine Hand bewegen, um Beate festzuhalten?
Als sie zurückkam, schleppte sie einen verbeulten Eimer mit Wasser, den sie neben seinem Krankenbett abstellte. Eine kleine Blechschüssel hatte sie sich unter den linken Arm geklemmt , mit der anderen Hand zerrte sie den schwarzen Arzt hinter sich her, der missmutig auf ihn herab schaute.
Er konnte sich vage erinnern , die gleiche Szene schon einmal beobachtet zu haben. Lediglich das Zimmer kam ihm fremd vor. Weiß. Steril. Es stank nach Desinfektionsmitteln, Blut und diversen Ausdünstungen, was erneut heftigen Brechreiz in ihm hervorrief. Hatte er etwas falsch gemacht? Es konnte nicht sein, dass er schon gestorben war und alles erneut durchlebte. Oder etwa doch?
„Herzlich willkommen im Leben, Monsieur Germeaux“, vernahm er immer deutlicher den dröhnenden Bass des Arztes.
Er atmete auf. Also nicht tot. Dem Allmächtigen sei Dank für seine Großmütigkeit.
„Bedauerlicherweise stand es ziemlich schlecht um Sie und dieses mickrige Ding, das in besseren Zeiten wohl eine Niere gewesen sein muss.“
Alain zuckte unmerklich zusammen und gab mit den Augen ein Zeichen, dass er das ungeschliffene Französisch des Arztes verstanden hatte.
„Ich musste das Transplantat entfernen, um Sie zu retten.“
Alain ließ die Augenlider sinken und hielt sie geschlossen.
„Sie wissen, was das bedeutet?“
Doktor Ndatio Yangandawele erwartete keine Antwort von seinem Patienten, schlug stattdessen das Laken zurück und prüfte den Sitz von Schläuchen und Kanülen, betastete Alains Unterleib und sprach ungerührt weiter: „Sie werden schon bald nach Paris fliegen, hat mir diese Frau versichert. Bis dahin können wir Ihren Zustand stabilisieren, mehr allerdings auch nicht. Alles Weitere werden Sie zu Hause veranlassen müssen.“
Er hörte, wie sich der schwergewichtige Arzt entfernte. Gleich darauf machte sich Beate mit Eifer daran , sein Gesicht zu waschen und das verschmutzte Bettzeug notdürftig zu säubern. Erst jetzt öffnete er langsam wieder die Augen. Beate beobachtete, wie er immer hastiger schluckte und würgte und ein feiner Schweißfilm Nase und Oberlippe bedeckte. Sie stellte eine flache Schale griffbereit auf die Bettdecke und hielt seinen Kopf, bis die Übelkeit etwas nachließ.
„Ich hasse … Narkosen.“
„Es geht nun mal nicht ohne“, erklärte sie in einem sanften Ton, als würde sie zu einem uneinsichtigen, kleinen Kind reden. Sie strich zärtlich über sein zerzaustes Haar.
„Das hättest … du mir … sagen müssen“, keuchte er mühsam mit jedem Atemzug und blickte sie anklagend an.
„Es tut mir leid, Alain, sie konnten nicht warten, bis du wieder bei Bewusstsein warst. Deswegen habe ich mein Einverständnis gegeben. Du wärst sonst auf dem OP-Tisch gestorben. Ich hatte keine andere Wahl.“
„ Es gibt immer … eine Wahl. Etwas Cortison und … Cyclosporin hätten auch … gereicht. Grapefruit … ja, die sind gut. Ja.“
Der Schweiß lief ihm mittlerweile in Strömen von der Stirn, so strengte ihn das Sprechen an. Beate wendete sich von ihm ab und wrang den Lappen in der kleinen Schüssel aus. Behutsam tupfte sie sein Gesicht ab.
„Du solltest nicht so viel reden. Schlaf ein wenig, damit du schnell wieder zu Kräften kommst.“
„Kannst es nicht … erwarten, bis ich … wieder fort bin?“
Beate presste die Lippen aufeinander und schluckte schwer an ihrer Verzweiflung. Die Ereignisse der letzten Tage gingen allmählich über ihre Kräfte. Die Hand, die unbeirrt den feuchten Lappen auf Alains Stirn drückte, fing heftig zu zittern an.
„Entschuldige“, murmelte er teilnahmslos, „wenn ich dir zur Last falle. Geh jetzt. Ich werde schlafen u nd zu Kräften kommen, damit ich bald reisefähig bin.“
Ein Schluchzer drang unaufhaltsam Beates Kehle nach oben. Ihre Augen schwammen in Tränen, als sie hastig die Schüssel mit dem verschmutzten Wasser schnappte und fluchtartig den Raum verließ.
Neeein! Komm zurück, Bea! Das wollte ich nicht sagen. Nicht wirklich. Ich bin ein
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