Begegnungen (Das Kleeblatt)
langsam begreife ich, dass ich viel mehr von dir verlange, als du geben kannst. Das lag nicht in meiner Absicht. Kommt nicht wieder vor, versprochen. Nie wieder.“ Traurig gab sie ihm einen Kuss auf die Wange und drehte sich abrupt um.
„Möchtest du ebenfalls einen Tee?“, fragte sie in bemüht gleichgültigem Ton.
„Nein. Danke. Ich nehme mir …“ Er beobachtete, wie Susanne erschrocken die Luft anhielt, und schluckte betreten. „Ich nehme Wasser. Bitte.“
Sie öffnete den Kühlschrank und griff sich eine Flasche Mineralwasser, die sie unschlüssig zwischen den Finger drehte. Er machte keine Anstalten, sie ihr abzunehmen.
„Setzt du dich noch einen Augenblick zu mir?“, erkundigte sie sich vorsichtig, als würde sie ihn um etwas absolut Unmögliches bitten.
„Warum nicht? Geh schon voraus. Ich werde dir den Tee aufbrühen.“
Wie eine aufgeschreckte Motte flatterte sie im Wohnzimmer umher, unfähig sich niederzulassen, während sie auf ihren Mann wartete. In Gedanken blickte sie aus dem Fenster, Suse indes hatte keine Augen für das erste zarte Grün, das sich aus dem Boden des Parks schob und den Frühling verkündete. Dabei hatte sie sich einen ausgesprochen schneereichen Winter lang darauf gefreut.
Adrians unbegreifliche Reaktion wollte ihr einfach nicht in den Kopf. Er hatte die Beleidigungen wie einen Schutzschild benutzt, doch er konnte ihr nichts vormachen. Aus seiner Stimme hatte gleichzeitig Schmerz geklungen und in seinen Augen lag eine Traurigkeit, die nie verging. Warum ließ er diesen Kummer nicht los? Warum redete er nicht mit ihr darüber oder ließ sich wenigstens von seinem Freund helfen? Warum ging er mit seinem Leid so um, als beträfe es gar nicht ihn, als könnte es ihm nichts anhaben, wenn er es +-lang genug ignorierte?
Ein vager Verdacht keimte plötzlich in ihr. Ein schrecklicher Verdacht, der allerdings auf fruchtbaren Boden fiel und dessen Saat deswegen sofort aufgehen und Wurzeln schlagen konnte. Adrian wollte ihr sein seltsames Verhalten nicht erklären. Und er hatte sie absichtlich verletzt mit seinen Worten. Sie waren wohl durchdacht, denn ein Perfektionist wie Adrian Ossmann tat nie etwas ohne gründliche Überlegung. Er würde ja nicht einmal ohne triftigen Grund reden!
Sie tau melte einen Schritt zurück. Mit der Geschwindigkeit tektonischer Platten drehte sie sich um und starrte zur Küchentür, durch die er jeden Moment treten würde. Die Erkenntnis traf sie wie ein Keulenschlag: Er wollte sie loswerden! Mit seinem unfairen, verletzenden Benehmen hoffte er, sie gegen ihn aufzubringen, sodass sie ihn freiwillig verließ. Und da er ihr nicht auf den Kopf zu die grausame Wahrheit sagen wollte – aus Feigheit, falscher Rücksicht oder aus welchem Grund auch immer –, versuchte er auf diese hinterhältige Weise, es ihr klarzumachen. Anders war sein schäbiges Verhalten nicht zu erklären.
Aber warum das alles? Warum??? Was war plötzlich in ihn gefahren? Eine andere Frau vielleicht? Eine, die so wenig redete, übertrieben ordnungsliebend und pünktlich war wie er und damit wesentlich besser zu ihm passte? Eine Frau, die nicht von ihm geheiratet werden, geschweige denn Kinder wollte?
Unsinn, das ganz sicher nicht! Schon die Stewardess der „Fritz Stoltz“ hatte festgestellt, dass Ossi sich mit mehr als einer Frau völlig überfordert fühlte. Er war einfach nicht der Typ dafür.
Und wenn doch? Das würde die vielen Überstunden erklären, die ständigen Wochenenddienste, seine barsche Aufforderung , ihn wenigstens bei der Arbeit mit ihrer Anwesenheit oder ihren Anrufen zu verschonen. Oder wollte er ihr aus Rücksicht auf seinen angegriffenen Gesundheitszustand und seine Wutausbrüche, die er immer weniger zu beherrschen vermochte, seine Gegenwart nicht länger zumuten? Möglicherweise überforderten ihn sogar ihre ständige Nähe und nun obendrein die Verantwortung für ein Kind?
Als sie beide damals völlig überstürzt von der „Heinrich“ abgestiegen waren, hatten sie sich schnellstmöglich eine Bleibe an Land suchen müssen. Es war ihnen nicht schwergefallen sich vorzustellen, mit dem jeweils anderen auszukommen, warum also nach zwei Wohnungen Ausschau halten, wenn es nervenaufreibend genug war, bloß eine passende zu finden? Sie hatte nie gefragt, wie es Adrian innerhalb von vier Tagen gelungen war, den Mietvertrag für eine wunderhübsch eingerichtete, große Maisonettewohnung zu unterschreiben.
Allerdings hatten sie selbst zu diesem Zeitpunkt
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