Begehrter Feind
Er durfte dem Franzosen keinen Grund geben, anzuzweifeln, dass er ein reicher Seidenkäufer war. Und von einem reisenden Kaufmann würde Crenardieu erwarten, dass er in der Taverne übernachtete. »Sollten Sie mich nicht in meinem Zimmer antreffen«, sagte Dominic, »hinterlassen Sie mir eine Nachricht an der Anschlagtafel neben der Bar.«
»Sehr wohl.« Die Leichtigkeit, mit der Crenardieu seine elegante Verbeugung vollführte, war ein klares Indiz dafür, dass er sich in den höchsten Kreisen bewegte. »Guten Tag Ihnen beiden.«
Sein Umhang flog auf, als er sich umdrehte und hinausging.
In der Schneiderei, wo kleine Staubflusen im Sonnenschein tanzten, wurde es sehr still. Nicht einmal von Ewan aus dem hinteren Raum war etwas zu hören.
Gisela blickte zur Tür. Auf ihren Zügen spiegelte sich eine seltsame Mischung aus Erleichterung, Reue und … Resignation?
»Ein charmanter Mann«, sagte Dominic, der sich keine Mühe gab, seinen Sarkasmus zu verhehlen.
Gisela strich sich übers Kleid. »Ein reicher Mann«, ergänzte sie ruhig, »der gewaltigen Einfluss in Clovebury und ganz Moydenshire hat.«
Und er hat Einfluss auf dich, mein Gänseblümchen
. Dieser Gedanke weckte eine rasende Eifersucht in Dominic, nicht zu vergessen seinen Beschützerinstinkt.
»Ist er ein Kunde von dir?«, fragte er.
Ihre Schultern hoben und senkten sich, bevor sie unglücklich nickte. »Er zahlt gut. Und wie du gewiss bemerkt hast, mangelt es Ewan und mir an vielem.«
»Es sollte euch an
nichts
mangeln«, sagte Dominic gereizter als beabsichtigt.
Gisela stand vollkommen regungslos vor ihm, und er spürte, wie sie sich ihm abermals verschloss, als wollte sie sich unbedingt gegen die Erinnerungen wehren. »Es gab eine Zeit«, flüsterte sie, »da hatte ich alles, was ich mir wünschen konnte. Ich habe den Himmel gekostet, Dominic.« Sie lächelte zittrig. »Falls jene Kostprobe alles war, was mir vergönnt ist, will ich damit zufrieden sein.«
Tränen glänzten in ihren Augen, und die durchs Fenster hereinfallenden Sonnenstrahlen zauberten Lichtspiele auf ihr Haar und ihr Gesicht. Wie liebreizend und traurig zugleich sie aussah!
Dominic unterdrückte ein verärgertes Stöhnen und fragte sich, wann sie solche Freuden gekostet haben mochte. Mit ihm? Mit dem Mann, den sie geheiratet hatte und dann fürchten lernte? Hatte der Schurke sie erst umworben, bis sie ihn liebte, um sie dann zu zerstören?
Allein die Vorstellung war ihm unerträglich.
Ihre Blicke begegneten sich. Sie wirkte so wunderschön, stolz und einsam, wie sie hier stand und von der Sonne gestreichelt wurde.
Wenige Schritte nur trennten sie, und Dominic trat etwas näher. Er musste. Unmöglich konnte er dem Wunsch entsagen, sie zu berühren. Er sehnte sich danach, sie in den Armen zu halten und den Schmerz zu lindern, der sich in ihren Augen spiegelte.
Das Kneifen in seinen Rippen ignorierte er, als er die Arme nach ihr ausstreckte, bereit, sie um ihre Taille zu legen. Sie neigte den Kopf ein wenig nach hinten und schwankte leicht, als wäre sie durchaus gewillt, seine Umarmung anzunehmen. Ihr Mund öffnete sich kaum merklich wie zum Kuss.
Zum Kuss!
Sein Blut geriet in Wallung. Fast meinte er, ihre Süße bereits zu kosten. Kein Wunder, erinnerte er sich doch noch sehr gut daran, wie sie schmeckte! Giselas Lippen hatten sich unter seinem Kuss einer Knospe gleich geöffnet, auf dass er von ihrem Nektar trank und in ihrer ambrosischen Vollkommenheit versank.
Verlangen regte sich in seinen Lenden. Gisela hatte gesagt, sie hätte keinen Ehemann. Sollte sie weggelaufen sein, band das Gesetz sie jedoch nach wie vor an jenen Mann. Folglich gehörte sie dem Ehemann, den sie so ungeheuer fürchtete.
Tritt zurück!
, befahl ihm sein Gewissen.
Du hast kein Recht mehr, sie zu küssen. Vor Jahren hast du sie nicht geheiratet, und jetzt bleibt sie dir auf immer verwehrt.
Er sehnte sich schmerzlich danach, seine Lippen auf ihre zu pressen, sie aufs Neue zu kosten und dem Begehren nachzugeben, das ihn vollends gefangen nahm …
»Süßes Gänseblümchen«, flüsterte er.
Erbebend holte sie Atem. Unter den goldenen Wimpern verdunkelten sich ihre Augen ein wenig. Bei Gott, sie wollte seinen Kuss! Sie wollte ihn ebenso sehr wie er.
Beinahe war sie schon in seinen Armen, und jeder Muskel seines Körpers freute sich darauf, ihre wundervoll zarte Gestalt zu halten …
Sie hob die Hände, die Finger weit gespreizt.
Was war das? Sie wies ihn ab.
Sie wies ihn ab!
Obwohl die
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