Begehrter Feind
Hitze in seinem Innern kaum mehr zu bändigen war, senkte er die Arme. »Was ist?«
Im selben Moment hörte er ein leises Schlurfgeräusch hinter sich. Das war ihm vorher nicht aufgefallen, ihr jedoch schon.
Dominic folgte ihrem Blick und drehte den Kopf. Ewan stand in der Tür.
»Mama, ist der Mann weg?«
Gisela nickte, wischte sich hastig über die Augen und lächelte Ewan an. Anscheinend hatte sie einige Übung darin, ihren Kummer vor dem Kind zu verbergen.
»Ich hab Hunger.«
Genau wie ich
, knurrte eine Stimme in Dominic.
Mich hungert nach den Küssen meines süßen Gänseblümchens.
Gisela ging zu ihrem Sohn. »Nach meiner Anprobe mit der Frau des Schmieds hole ich dir Brot und Honig.«
»Die Frau des Schmieds?«, wiederholte Dominic gereizt.
Gisela sah ihn mit großen Augen an. Natürlich gefiel ihr sein Tonfall nicht. Sie zeigte auf das Kleid auf ihrem Arbeitstisch. »Ich versprach, ihr Kleid in dieser Woche fertig zu nähen. Heute Morgen kommt sie zur Anprobe.«
Wie auf Kommando näherten sich Schritte, dann kam eine Frau herein, deren klobige Schuhe auf dem Holzboden donnerten. Ihr Gesicht war braun und schrumpelig wie ein verdörrter Apfel. Mit einem Lächeln begrüßte sie Gisela. »Guten Tag.«
Gisela erwiderte das Lächeln. »Guten Morgen.«
Verschwinde, Dörrapfel! Lass uns in Ruhe, damit wir beenden können, was wir angefangen haben!
Statt die Worte laut auszusprechen, sagte Dominic zu Gisela: »Ich gehe dann und komme wieder, wenn es günstiger ist. Wir sehen uns bald.« Er nickte Ewan zu. »Kleiner Krieger.«
Der Junge schmollte ihn finster an. »Du darfst nicht gehen. Du hast versprochen, mir von der schönen Maid und dem Drachen zu erzählen.«
Dominic musste grinsen. »Ja, habe ich, und wenn ich wiederkomme, erzähle ich dir die Geschichte auch.«
Damit schritt er an der Frau vorbei, die mit Gisela plauderte, und hinaus auf die schmutzige Straße. Ein Pferdefuhrwerk rumpelte vorbei, dessen Holzräder eine Staubwolke aufwirbelten. Mit einer Handbewegung wedelte Dominic den wehenden Staub fort und ging die Straße hinunter zu den Läden, an denen Gisela ihn gestern vorbeigeführt hatte.
Entschlossen vertrieb er alle betörenden Gedanken an Giselas Küsse und dachte stattdessen daran, wie Crenardieu in ihr Geschäft und wieder hinausstolziert war. Während er den Lärm um sich herum ausblendete, rief Dominic sich den Franzosen ins Gedächtnis – seinen Gang, seine Art, zu sprechen, und sein geziertes Gebaren. Unwillkürlich schritt Dominic umso weiter aus, bis auch seine Haltung und sein Gang die Arroganz des Wohlhabenden ausstrahlte, der es gewohnt war, alle um sich herum mit seinem Gold und Silber zu manipulieren.
Dominic lächelte. Es war schon erstaunlich, welche Macht Vermögen auf einen Mann ausüben konnte.
Oder auf eine Frau.
»Mama, kommt Dominic wieder?«
»Hmm?«, murmelte Gisela, die ein Fadenende zwischen den Lippen hatte.
Ewan saß mit baumelnden Beinen auf dem Hocker in ihrer Schneiderei, das Kinn in eine Hand gestützt. Im Kerzenschein tanzten Licht und Schatten über seine Züge. »Mama, du hast mich gar nicht gehört!«
Ein müdes Lächeln zuckte in Giselas Mundwinkeln. Sie nahm den Faden aus dem Mund und legte ihn mit der Hornnadel zusammen auf das fast fertige Kleid auf ihrem Tisch. Ewan war den ganzen Tag sehr brav gewesen. Eben hatte sie ihr Geschäft abgeschlossen, was bedeutete, dass sie ihm etwas Aufmerksamkeit schenken – und ihm etwas zu essen holen sollte.
»Ich weiß nicht, ob Dominic uns wieder besucht«, antwortete sie und ging zu Ewan. »Er hat viel zu tun.«
»Was tut er denn?«
Er sucht nach Dieben, und seine Suche führt ihn womöglich zu der versteckten Seide hier.
Sie schob ihre Gewissensbisse beiseite und sagte: »Er hat Aufgaben hier im Dorf zu erledigen.«
»Was sind das, Aufgaben?« Der offene Kinderblick verlockte sie immer wieder, alles zu sagen.
»Wenn Dominic möchte, dass du es weißt, wird er es dir erzählen.«
»Weißt du das denn?«, fragte Ewan ein wenig mürrisch.
Sie musste schmunzeln. »Ja.«
Der Kleine rutschte vom Hocker und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Wieso sagt er mir das nicht? Ich bin auch ein Ritter! Ich würde ihm alles verraten.«
»Natürlich würdest du das nicht.« Sie zwinkerte ihm zu. »Du bist sehr gut darin, Geheimnisse zu bewahren. Und ich bin sehr stolz auf dich, dass du niemandem meinen richtigen Namen sagst, wie du es versprochen hast. Du bist ein Meister im Hüten von
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