Begehrter Feind
Faszination ergriffen, auf die Klinge. Sie glänzte von Blut, ihrem Blut, aus ihrem Busen. Gott, o Gott, wie das weh tat!
Ihr wurde speiübel. Die rote Flüssigkeit auf dem Messer begann, sich auszubreiten, bis sie eine trübe Pfütze auf dem Tisch bildete. Sie wurde größer und größer, bedeckte die gesamte Oberfläche, verschlang …
»Gisela!«, sagte Dominic aus unmittelbarer Nähe.
Der blutrote Nebel in ihrem Kopf lichtete sich und wich dem gedämpften Grün des Baumschattens. Dominics Arme umfingen sie, stützten sie, wie Gisela verwirrt feststellte. Er stand hinter ihr, hielt sie in der Taille, damit sie nicht umfiel, während sie …
Während sie stöhnte wie ein kleines Mädchen, das einen furchtbaren Alptraum hatte.
»Schhh!«, murmelte er ihr ins Haar.
Sie biss die Zähne zusammen, denn immer noch brannte der Schrei in ihrer Kehle. Über ihr flüsterten die Blätter im Abendwind und ließen die Schatten unter der Weide tanzen. Sonnenlicht huschte über die Wurzeln, die sich durch das Gras schlängelten. Diese Wurzeln hielten den Baum fest im Boden verankert, ganz gleich, welche Stürme wüteten. Und mit der Zeit gingen sie tiefer und tiefer, nährten das Grün, auf dass es gedieh.
Dominics Arme legten sich fester um Gisela, stärkten sie mit ihrer Kraft und weckten eine unerträgliche Sehnsucht in ihr. Wie wundervoll es sich anfühlte, an ihn gedrückt zu sein!
Und wie gefährlich wäre es, sollte sie vergessen, was sie beide trennte!
»W-was habe ich gesagt?«, fragte sie zittrig.
»Genug«, antwortete er, wobei sein Atem warm über ihr Haar strich.
Ein wohliges Kribbeln durchfuhr sie vom Nacken bis zu den Zehen. Wieder flüsterte der Wind, der den Geruch von Gräsern, Lehm und Flusswasser heranwehte und ihn mit Dominics Duft vermischte.
Mit geschlossenen Augen genoss sie die verbotene Essenz. Dominics maskuline Note stand für Freude, Wonne, Leidenschaft … für alles, was mit ihrem Lebewohl an jenem Tag auf der Wiese geendet hatte.
Geh weg!,
befahl ihr die Vernunft.
Du musst! Deine Gefühle sind zu zerbrechlich. Deine Liebe zu Dominic kann nie wieder sein, was sie einst war. Quäl dich nicht!
Und dennoch, bevor ihr verräterischer Körper gehorchen konnte, neigte sie den Kopf nach hinten, so dass er in der Beuge zwischen seiner Schulter und seinem Hals lag.
Dominic atmete hörbar ein. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet. Als er Luft holte, berührte seine Brust ihren Rücken. Ein tiefes Stöhnen entwand sich ihrer Kehle, denn selbst diese leichte Berührung genügte, dass sie sich nach ihm verzehrte. Tränen stiegen ihr in die geschlossenen Augen.
Geh weg, Gisela!
Nun jedoch bewegten sich seine Arme, die, statt sie von sich zu stoßen, die Umklammerung noch verstärkten. Für diesen einen Moment schien er bereit, ihr nachzugeben, während sie mit ihren Gefühlen kämpfte.
Eine galante Geste, die seiner noblen Herkunft entsprach.
Ach, Dominic!
Tränen kullerten ihr aus den Augen.
»Gisela!«, flüsterte er.
Sie öffnete zaghaft die Augen. »Mmm?« Ihre Stimme klang befremdlich rauh.
Als sie den Kopf zu ihm drehte, berührten sich ihre Lippen schon fast. Die kleinste Bewegung, und sie lägen aufeinander.
Sogleich dachte Gisela an den Kuss in ihrer Schneiderei. Ihre Haut kribbelte, als sie sich der Weichheit entsann, mit der sein Mund den ihren bedeckt hatte, und seines Stöhnens, als sie den Kuss vertieft hatten.
Wie würde er hier, unter der Weide, schmecken?
Er musste ihre Gedanken gelesen haben, denn sein Blick wanderte zu ihren Lippen, und Verlangen flackerte in seinen dunklen Augen auf.
Dann aber verhärteten sich seine Züge. Er wandte das Gesicht ab und schaute hinaus ins Zwielicht. »Bald wird es dunkel. Wir müssen zu dir zurück.«
Dominic schritt voran zur Lücke in der römischen Mauer. Seine Gedanken kreisten um das, was sie ihm von ihrem boshaften, brutalen Ehemann erzählt hatte – und um seine eigenen Schlüsse aus der Tatsache, dass sie dabei beinahe zusammengebrochen war.
Im Gehen rupfte er die Ähre eines Wildgrases ab. Der Kämpfer in ihm schrie nach Vergeltung. Sich vorzustellen, dass Gisela von einem Mann wie Ryle entstellt, beherrscht, zerstört worden war … Es erklärte jedenfalls, warum sie sich in den Jahren so sehr verändert hatte und warum ihre Verzweiflung sie dazu trieb, die falschen Entscheidungen zu treffen – unter anderem die, ihn zu belügen.
Dennoch konnte er seine Wut nicht leugnen, die beinahe genauso groß war wie
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