Begehrter Feind
sein Verlangen nach ihr. Sie hatte ihm willentlich Informationen über Geoffreys gestohlene Seide vorenthalten – und dass er Ewans Vater war. Welche Geheimnisse hütete sie noch? Was noch würde sie tun, um sein Vertrauen zu verletzen?
Hör auf, Dominic!,
schrie sein Herz.
Sie war genötigt, alles zu tun, was sie konnte, um sich und ihr Kind zu schützen.
Ja, das stimmte. Was Ryle ihr angetan hatte, war unverzeihlich. Dominic grübelte. Sich vorzustellen, dass Ewan, sein Sohn, unter einem Dach mit diesem Widerling gelebt hatte …
Ewan.
Sein Sohn.
Vor lauter Erstaunen wäre er fast über seine eigenen Füße gestolpert. Bei seinen vielen Abenteuern mit Frauen hatte er sich niemals ausgemalt, dass er Vater werden könnte. War der Junge wirklich sein Sohn? Oder hatte Gisela die Geschichte über Ryles Impotenz und Dominics Vaterschaft in der Hoffnung erfunden, sich damit in ein besseres Licht zu rücken?
Nein. Ewan war sein Sohn. Das wusste Dominic tief in seinem Herzen.
Trotzdem war er wütend, weil sie es ihm nicht früher gesagt hatte. Doch in seinen Zorn hinein stahl sich ein Gefühl von Verzückung und …
»Dominic?«
Er drehte sich halb zu Gisela um und gab sich Mühe, nicht auf ihren Mund zu sehen. Ihre Lippen waren eine solche Versuchung! Ebenso gut könnte sie nackt vor ihm stehen.
»Was wirst du tun?«
So fest ihre Stimme auch klang, hörte er dennoch die Angst heraus, die in jedem Wort mitschwang.
Sie blieb zurück. Nachdem er noch ein paar Schritte gegangen war, drehte er sich ganz zu ihr um. Plötzlich kehrten die Erinnerungen an den Tag zurück, an dem sie sich Lebewohl gesagt hatten, und legten sich über das Bild von ihr heute auf der schattigen Wiese.
Da er wusste, dass ihre Stimmen allzu leicht bis auf die Straße dringen konnten, stapfte er durch das Gras zu ihr zurück, bevor er leise sagte: »Wir gehen zurück in dein Geschäft, und du zeigst mir die Seide.«
Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Was machst du dann? Erzählst du Lord de Lanceau davon?«
»Ich muss«, antwortete Dominic.
»Werde ich …«, sie zögerte, »verhaftet? Werde ich in seinen Kerker gesperrt?«
»Ich weiß es nicht.« Die Antwort war so vage wie ehrlich. Mehr konnte Dominic ihr gegenwärtig nicht sagen.
Er kannte Geoffrey gut genug, um ein Wort für Gisela einlegen zu können und zu beteuern, dass sie als Mutter gehandelt hatte, die sich verzweifelt bemühte, ihren Sohn zu schützen.
Dominic schluckte.
Seinen
Sohn.
Geoffrey war ebenfalls Vater eines kleinen Jungen, und seine Lady trug das zweite Kind unter dem Herzen. Er würde verstehen, dass Eltern alles taten, um ihre Kinder zu beschützen. Was sein Lord allerdings glauben oder was ihm sonst noch zugetragen würde, vermochte Dominic nicht abzuschätzen.
»Wird er mir Ewan wegnehmen?«, fragte Gisela, deren Stimme nun so dünn und brüchig klang wie eine getrocknete Blüte. »Ich bitte dich, nimm ihn mir nicht weg!«
Dominic widerstand dem Drang, sie erneut zu umarmen. So gern er sie auch geküsst und seinen unberechenbaren Gefühlen nachgegeben hätte – er durfte es nicht. Zudem wurde es rapide dunkel. Es war nicht sicher für sie, sollten sie zu lange draußen bleiben.
»Darüber reden wir später«, erwiderte er knapp. »Wir müssen zurück sein, bevor es dunkel ist. Komm!«
Er ging weiter und hörte, wie sie ihm widerwillig folgte.
Als sie sich der Schneiderei näherten, holte sie den Schlüssel aus ihrer Umhangtasche, während Dominic sich umschaute. Immer noch nichts von Crenardieus Beobachtern zu sehen. Anscheinend brauchte der Franzose sie heute Abend an anderer Stelle.
Gisela schloss die Tür auf, und sie beide gingen hinein. Die Tür zum Wohnraum hinten war verschlossen, doch das Licht von dort drang durch das rissige Holz. Auch Adas und Ewans lebhafte Stimmen waren zu hören.
»Arrr!«, brüllte Ada. »Ich fresse dich bei lebendigem Leib, Sir Smug, Stück für Stück! Deine Zehen lasse ich mir für den Schluss übrig!«
»Meine Zehen frisst du nicht«, schrie Ewan zurück, »oder was andres von mir! Mach dich auf den Kampf gefasst, Drache!«
Der heftige Kampf entbrannte in dem Moment, in dem Gisela die Tür hinter sich abschloss. Sie schob die Riegel vor, ehe sie ihren Umhang abnahm und zur Tür nach hinten ging.
»Gisela«, sagte Dominic leise. Sie würde sich nicht davor drücken können, ihm die Seide zu zeigen.
»Ich will Ada und Ewan nur sagen, dass wir zurück sind«, erwiderte sie, »und uns Licht holen.«
Sie
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