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Begierde

Begierde

Titel: Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Gruenberg
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auszusetzen, an der Art, wie Vicky das Glas hielt und zum Mund führte, wie sie das Besteck in die Hand nahm oder die Serviette benutzte. Anna und die anderen Mädchen versuchten zwar, Rosa zuvor zu kommen und Vicky alles beizubringen, aber es gelang ihnen nicht immer.
    »Sei vorsichtig, meine Liebe. Wenn du nicht bald zur Vernunft kommst und mitarbeitest, wird dein Verhalten unangenehme Folgen für dich haben. Glaube mir, du wirst es bereuen. Die Geduld der Patrona hat Grenzen.«
    Aber Vicky verzog lediglich das Gesicht zu einer ablehnenden Grimasse. Selbst Anna gelang es nicht, sie zur Vernunft zu bringen.
    »Warum hast du den Vertrag unterschrieben, wenn du nichts lernen willst? Glaubst du, die suchen dir einen anspruchsvollen Ehemann, wenn sie riskieren, dass du sie blamierst?« Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Denk daran, Rosa hat gesagt, dein Verhalten wird Konsequenzen haben.«
    »Ph, welche denn? Dass die mich rausschmeißen? «
    Anna schwieg.
    Was soll mir schon geschehen?
, dachte Vicky trotzig. In ihrem Kopf war keine Ruhe. Nachdem sie die Sache mit der Unterschrift notgedrungen akzeptiert hatte, konzentrierten sich alle ihre Gedanken auf die Flucht. Sie bekam kaum mit, um was es im Unterricht ging. Stattdessen beobachtete sie alles, um eine Lücke zu entdecken und war überrascht, wie einfach es war. Eigentlich konnte sie das Haus jederzeit verlassen. Die Haustür war zwar nachts von innen abgeschlossen, jedoch würde es ihr keine Probleme bereiten, durch eines der unvergitterten Fenster im Parterre zu steigen. Falls man sie nicht bald wegen ihres sturen Verhaltens hinauswarf, würde sie auf jeden Fall eine Gelegenheit zur Flucht finden. Dabei kam es ihr entgegen, dass die anderen es aufgegeben hatten, sie aufzumuntern und in ihre Gespräche einzubeziehen. Je weniger Notiz man von ihr nahm, desto weniger würde ihr Verschwinden auffallen.

    Anna hatte einen tiefen Schlaf. Vicky zog sich leise die Sachen an, die sie am Abend heimlich unter ihrer Bettdecke versteckt hatte. In ihrem Schrank hatte sich fast nichts befunden, was für die Flucht bequem war und so hatte sie sich für eine Stoffhose und eine Bluse entschieden, sowie für ein paar Ballerinas. Außerdem verfügte sie weder über Ausweispapiere noch über Geld, und wenn die Informationen stimmten, dann befand sie sich im Herzen Italiens, unweit der Hauptstadt Rom. Aber irgendwie würde es ihr schon gelingen zu telefonieren und nach Deutschland zurückzukehren. Irgendjemanden würde sie erreichen. Oder sie würde einfach bis zur Autobahn laufen und nach Hause trampen. Sie lächelte. Es war bestimmt einfach, einen LKW-Fahrer davon zu überzeugen, sie mitzunehmen. Hauptsache, sie kam erstmal fort aus diesem Haus.
    Natürlich hatte sie mehrfach versucht, das Halsband zu entfernen. Der Spezialverschluss ließ sich nicht öffnen. Dass in ihrem Halsband ein Signalgeber integriert sein sollte, daran glaubte sie allerdings nicht eine Sekunde. Um es vor neugierigen Blicken auf der Flucht zu verbergen, hatte sie ein Halstuch umgebunden.
    Leise schlich Vicky die Treppe hinunter. Nach Mitternacht war das große Haus in Totenstille versunken. Sie öffnete die Küchentür. Niemand war da. Natürlich nicht.
    Sie kletterte auf den Küchenthresen, schob die dünne Gardine an einem der vier schmalen aneinander gereihten Fenster zur Seite, öffnete es, schwang sich auf das Fensterbrett und sprang dann mutig hinunter. Die glatten Sohlen ihrer flachen Schuhe versanken leicht in der Erde des Blumenbeetes, das sich vor dem Küchenfenster befand. Ein paar Blätter streiften ihre nackten Fesseln. Vicky sah kurz nach oben, doch alles blieb ruhig.
    Sie huschte über den knirschenden Kies des Gartenweges auf die gegenüberliegende Rasenfläche, dann sah sie sich um. Sie war noch nie draußen gewesen und musste sich erst orientieren. Von den Fenstern im ersten Stock aus hatte sie gesehen, dass der Garten, der das Haus umgab, nicht allzu groß war, und dass die Zufahrt auf der anderen Seite lag. Sie lief auf dem Rasen um das Haus herum. Alle Fenster waren dunkel, die meisten geschlossen, einige jedoch aufgrund der angenehmen, lauen Nachtluft weit geöffnet. Aus einem war ein leises Schnarchen zu hören.
    So schnell sie ihre Füße trugen, rannte Vicky über das Gras und dann die gepflasterte breite Einfahrt hinunter. Die hohen Bäume beidseits der Zufahrt warfen gespenstische Schatten im Mondlicht. Endlich stand sie an dem schweren Schiebetor für die Autos und ging an

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