Begierde
und ihn ablenken.
Die Wende
Es war kalt, entsetzlich kalt. Vicky schlang die Arme um ihren Körper. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon stehend und frierend ausharrte. Ihre Füße waren so kalt, dass sie diese fast nicht mehr spürte. Ihre Beine zitterten, ohne dass sie es verhindern konnte, und ihr Kiefer schmerzte, weil sie die Zähne fest aufeinander biss, damit sie nicht klapperten.
Sie hatte keine Kraft mehr, nicht einmal die Kraft zu weinen. Was mit ihr geschah, erinnerte sie an eine Filmszene. Nur war dies kein Film, kein Spiel, dies war ein gelebter Albtraum. Nicht in ihrer kühnsten Fantasie hätte sie sich vorzustellen vermocht, dass ihre Flucht auf diese Weise enden würde. Sie war ja so entsetzlich naiv. Warum nur war sie einfach losgelaufen und hatte nicht geduldiger auf eine wirklich realistische Chance gewartet? Nur fünf Tage waren vergangen, seit man sie entführt hatte und sie versuchte bei der erstbesten Gelegenheit zu türmen. Wie dumm von ihr.
Ihre Blase drückte unerträglich. Dieses Problem begleitete sie, seit sie Erinnerungen hatte. Bei Kälte verhielt sich ihre Blase wie die eines Kleinkindes.
Schließlich überwand sie ihren Stolz. »Hallo, ich muss mal.«
Nichts geschah. Keine Reaktion. Aber sie wusste, er war da und wartete darauf, dass sie zusammenbrach. Von Zeit zu Zeit hörte sie, wie er sich räusperte oder mit der Zeitung raschelte. Wie lange würde er sie hier unten gefangen halten? War dies ein Machtkampf, den sie bereits verloren hatte? Sie blickte nach oben und rief lauter.
»Verdammt noch mal, ich muss aufs Klo. Hol mich hier raus.«
Tomasos Stimme erklang, der Schall hallte kalt und unerbittlich von den glatten Wänden wieder. »Dann entschuldige dich und bitte mich um Gnade.«
Letzter Widerstand keimte in Vicky auf. Den Teufel würde sie tun. Niemals, niemals würde sie betteln. Sie schloss die Augen, presste die Lippen aufeinander, lehnte die Stirn an die kalten Fliesen. Je intensiver sie an ihre übervolle Blase dachte, desto schlimmer wurde der Druck. Ihr Unterleib schmerzte. Schließlich gab sie sich einen Ruck, überwand ihre Scham und ließ ihrem Bedürfnis freien Lauf. Ihr Urin war heiß, besonders heiß, als er ihr nun die halb durchfrorenen Schenkel hinunter lief. Sie biss sich auf die Lippen.
Wie viele Stunden seit ihrem Fluchtversuch vergangen waren, wusste sie nicht. Zeit spielte hier in diesem Verließ keine Rolle mehr. Am Anfang hatte sie gegen die Kacheln geschlagen, geschrien und geflucht, bis sie keine Stimme mehr hatte. Dann hatte sie geweint, hemmungslos und verzweifelt, bis ihre Augen brannten, ihre Nase zuschwoll und ihr die Luft nahm. Ihre Zunge und ihr Hals waren trocken, weil sie vermehrt durch den Mund atmete.
»Nun?«
Tomasos Stimme klang näher. Vicky schaute nach oben. Er hatte sich auf dem Rand aufgestützt und blickte nach unten, die Miene nichtssagend, vollkommen kontrolliert.
»Leck mich, Arschloch.«
Ein Grinsen erschien auf Tomasos Gesicht. »Möglich, dass ich auf dieses Angebot eines Tages zurückkomme. Aber im Augenblick – wie ich sehe, hast du dich bereits von deinem Druck erleichtert.« Sein Kopf verschwand.
»Aaah, nein.« Vicky schrie auf. Erbarmungslos prasselte die kalte Dusche auf sie herab, klatschte zum wiederholten Male ihre langen Haare an Kopf und Körper, und sie schlotterte noch mehr als zuvor. Sie wusste nicht, wie lange sie das noch durchhalten würde. Die Ausweglosigkeit ihrer Lage schnürte ihr das Herz ab. Als der Wasserstrahl stoppte und nur noch ein paar einzelne Tropfen herab fielen, war sie steif wie ein Eiszapfen. Das einzige, was noch warm war, waren ihre Tränen, die ihr über die Wangen liefen.
Die Patrona hatte gehofft, Vicky würde zur Vernunft kommen, nachdem Stefano ihr den Vertrag mit der Unterschrift gezeigt hatte, doch vergeblich. Sie machte sich Sorgen. Die Situation war nicht nur für Vicky, sondern auch für sie und ihr Personal neu. Obwohl sie sich mit ihrer Ehevermittlung hart am Rande der Legalität bewegte, so würde sie sich im Falle einer Klage doch herausreden, dass ihre Klientinnen sich freiwillig den Regeln ihres Heiratsinstituts anvertraut hatten. Das gleiche galt für die Ehefrauen, die sich hier zur fantasievollen und willigen Gespielin ihrer Ehemänner ausbilden ließen, um ihre Ehe aufzufrischen. In all den Jahren, seit die Patrona dieses einträgliche Geschäft betrieb, hatte es nur eine einzige Klage gegeben und diese war zurückgezogen worden, ehe es zu einer
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