Begierde
ihre Handgelenke noch fester und er sah, wie ihre Finger langsam weiß wurden. Er fühlte immer noch, wo ihn ihr Speichel getroffen hatte, aber es machte keinen Unterschied, ob er ihn wegwischte oder nicht. Sie hatte es getan.
»Gehorche, sag es. Wen liebst du. Wer ist der Hund?«
Marc bemühte sich verzweifelt, seine Fassung wiederzugewinnen, hingerissen zwischen der Zärtlichkeit, die er für Vicky empfand, die ihn überflutete, sobald er sie sah und einer bohrenden Eifersucht, dass es einen anderen Mann in ihrem Leben gab, der ihr mehr bedeutete und den sie näher an sich heran ließ.
»Sag es.« Unbeherrscht schrie er sie an. Allein ihr frecher ungebrochener Blick genügte, ihn fast in den Wahnsinn zu treiben. Wenn sie ihm nicht gehören wollte, dann würde sie keinem gehören. Dieser Gedanke griff kalt nach seinem Herz und nahm ihm den Atem.
Sie sah an ihm vorbei und versuchte sich seinem Griff zu entwinden, schien nun aber doch verunsichert. »Ich habe immer nur einen geliebt und den liebe ich noch immer.«
Marc packte noch fester zu und Vicky schrie leise unter dem Schmerz seiner Fingernägel auf, die sich in ihre Haut bohrten.
»Und – liebt er dich auch?« Spott und Hass über den Widersacher lag in seiner Stimme. Hat er dich gevögelt?«
»Nein, nein, das hat er nicht, niemand hat das.« Vickys Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse voller aufgestauter Angst und Wut. »Mein Bruder hasst mich, er muss mich hassen, sonst hätte er mich nicht hierher bringen lassen und zu einer Gefangenen gemacht. Und ich hasse ihn dafür, dass er meine Liebe mit Füßen getreten hat und dass ich ihn nicht vergessen kann.«
Als Marc verblüfft über ihre Antwort seinen Griff lockerte, riss sie sich los und verschwand in einem diffus wabernden Nebel. Er versuchte nach ihr zu greifen, doch er sah nur, wie seine eigene Hand im Nebel eintauchte, als wäre sie nicht mehr ein Teil von ihm.
Es gab einen dumpfen Knall. Marc krümmte sich stöhnend über den plötzlich eintretenden Schmerz in Knie und Ellenbogen zusammen, dann setzte er sich langsam auf, lehnte sich mit dem Rücken an Bettgestell und Matratze an, und rieb sich die Augen. Er war schweißgebadet. Langsam realisierte er, dass alles nur ein Traum gewesen war, aber ein so realer, dass sein Herz wild protestierend unter den noch nicht verarbeiteten Eindrücken schlug – und unter dem Schock, dass er soeben aus dem Bett gefallen war.
Es musste etwas geschehen. So konnte es nicht weitergehen. Es war
sein
Wunschdenken, nicht Vickys, dass sie ihn lieben sollte. Er musste diesen Gedanken aus seinem Kopf verbannen. Vicky hasste ihn und sie hatte allen Grund dafür.
Vielleicht sollte er sich doch noch einmal mit Isabella treffen? Nein, es wäre unfair und gegen seine moralische Überzeugung, sie als Ersatz zu missbrauchen. Moral? War es denn moralisch, was er Vicky angetan hatte? Er strich sich mit beiden Händen über das Gesicht, als könnte er dadurch die quälenden Gedanken fort wischen.
»Hallo – gibst du mir nun endlich eine Antwort?«
Marc schrak aus seiner Gedankenwelt hoch. Irritiert registrierte er, dass Antonio ihm gegenüber stand und sich über den Schreibtisch zu ihm hinunter beugte. Wann war er hereingekommen? Er hatte ihn nicht kommen gehört. Was hatte Antonio ihn gefragt?
Mehr und mehr verlor er sich in seinen Gedanken und Gefühlen. Wohin sollte das noch führen? Warum gelang es ihm nicht, Vicky einfach aus seiner Welt zu streichen? Wozu hatte er sie fortgegeben, wenn dies nicht zum gewünschten Ergebnis führte? Sollte sich doch ein anderer mit ihr herum ärgern. Aber er musste sich wohl eingestehen, dass ihm dieser Gedanke immer weniger gefiel.
»Beantwortest du mir jetzt bitte meine Frage?«
»Es tut mir leid, Antonio. Ich muss nachdenken.«
»Das ist mir schon lange klar. Du grübelst pausenlos herum, bist nicht mehr ansprechbar und kümmerst dich kaum noch ums Geschäft. Du müsstest dringend nach Deutschland und Schweden reisen. Was ist los? Ich dachte, dein Problem wäre gelöst?« Antonio klang gereizt.
Marc seufzte. Antonio war sein einziger und sein bester Freund. Vielleicht war es doch vernünftiger, weniger Heimlichkeiten vor ihm zu haben und stattdessen mit ihm gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Nein, es war zu früh. Er musste nachdenken.
»Kannst du für einige Tage die Geschäfte alleine führen? Bitte.«
Antonio dachte einen Moment lang nach. »Also gut. Aber ich brauche deinen Rat bezüglich der neuen
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