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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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es.«
    Er neigte den Kopf über ihre Hand, und sie spürte die flüchtige Berührung seiner Stirn auf ihrem Handrücken. Eine Geste des Respekts und der Anerkennung, die sie zu Tränen rührte. »Der Himmel schütze Euch, Violante von Courtenay.« Er hatte längst die Stadttore hinter sich gelassen, als sie in der kleinen, reinlichen Kammer, die sie künftig bewohnen würde, das Bündel ihrer Habseligkeiten öffnete, um ihre Besitztümer in eine schlichte Truhe zu ordnen. Einer der Männer hatte ihr Gepäck von der Herberge in das Haus zum Turm getragen. Überrascht hatte sie ein zweites Bündel gefunden, in reinliches Leinen gehüllt und mit einer Seidenkordel verschlossen. Als sie jetzt die Verschnürung löste, entdeckte sie drei Geschenke. Zwei Bücher. Ein handlicher kleiner Psalter mit den Hymnen des alten Testaments und eine Fibel mit den Grundbegriffen der lateinischen Sprache, wie sie in Klosterschulen verwendet wurde, um den künftigen Priester vorzubereiten. Violante berührte die Schriften mit den Fingerspitzen, kaum fähig zu glauben, dass sie ihr Besitz sein sollten.
    Das dritte Geschenk war in einem Tuch aus feinster hellblauer Seide verborgen. Es war eine kleine Statue der heiligen Anna aus honigfarbenem Karneol. Kaum eine halbe Elle hoch, aber so lebensecht dargestellt, dass sie sie mit halb offenem Munde bestaunte. Die Heilige erwiderte den Blick mit einem liebenswürdigen Lächeln.
    Sollte sie sie an das Portal der heiligen Anna von Notre-Dame erinnern, in dessen Schatten sie sich mit Renard und seinen Freunden getroffen hatte? An die Rue des Ursins, an ihre verstorbene Mutter?
    Würde die kleine Statue ihr ein Trost in der Fremde sein? Sie konnte es nicht sagen. Sie wusste nur, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Tränen, die sie noch nie geweint hatte. Freudentränen.

F ÜNFZEHNTES K APITEL
    Entscheidungen
     
     
     
    B RUDER S IMON
    Dominikanerkloster von Avignon, 10. August 1311
     
    An Tagen, die so heiß waren wie dieser, kratzte das Büßerhemd besonders. Es reizte die beanspruchte Haut, und der Schweiß brannte in den kleinsten Wunden. Obwohl abgehärtet gegen körperliches Unbehagen, bewegte Simon die Schultern, um sich Erleichterung zu verschaffen. Ein Windstoß, Herr, oder wenigstens eine Stunde, in der sich ein paar Wolken vor diese unbarmherzige Sonne schieben, ist das zu viel verlangt?
    Die Erinnerung an die dichten Wälder von Andrieu stieg in ihm auf. An Tannen und Laubbäume, deren Wipfel sich im grün schimmernden Wasser spiegelten, und wenn man kopfüber hineinsprang, war es, als würde man den Wald umarmen. Auch im zweiten Sommer hatte er sich nicht an die sengende Hitze gewöhnt, die in diesen Wochen über der Stadt, dem Kloster und den Häusern von Avignon lag. Der breite Fluss glänzte und wand sich wie geschmolzenes Blei weiter nach Süden. Die Wachssiegel auf den Schriftstücken, die von der Schreibstube des Heiligen Vaters aus in alle Welt gingen, wollten nicht trocken werden.
    Zwei Mönche wuchteten eine eisenbeschlagene Kiste in Simons Raum und wischten sich den Schweiß von der Stirn, ehe sie sich der hageren Gestalt am Schreibpult zuwandten. »Die Knechte des Schmieds haben sie für Euch abgegeben, Bruder. Wo sollen wir sie hinstellen?«
    »Dort zum Fenster. Ich danke Euch«, erwiderte Simon, ohne von dem Schriftstück aufzusehen, das er soeben mit sorgfältigen Federstrichen beendete.
    Die Liste der Abgaben, die bei der Verleihung höherer Pfründen entrichtet wurden, bedurfte schon wieder einer Erneuerung. Mittlerweile lagen die Einnahmen des Heiligen Stuhls bei einem Drittel der Jahreseinkünfte einer solchen Pfründe. Die Gebühren für das Personal der Dienst- und Kanzleibehörden der Kurie nicht mitgerechnet. Wieso die Truhen Seiner Heiligkeit dennoch ständig leer waren, entzog sich seinem Verständnis. Wie so vieles andere auch, das in Avignon geschah. »Habt Ihr es schon gehört, Bruder? Wir erwarten den Heiligen Vater früher aus den Bergen zurück. Es heißt, er fühle sich nicht wohl und sei leidend. Man weiß nicht, ob das Konzil in Vienne, wie geplant, unter seiner Leitung im Oktober zusammentreten kann.« Der ältere der Mönche war bemüht, seine Neuigkeiten zusammen mit der Truhe an den Mann zu bringen.
    Die Neuigkeit überraschte Simon nicht besonders. Die Pläne des päpstlichen Haushaltes richteten sich stets nach dem labilen Gesundheitszustand des Oberhirten. »Was fehlt Seiner Heiligkeit denn?«
    »Eine Unpässlichkeit. Sein Magen mag

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