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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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näher kommenden Schritte.
    Welch ein Wahnsinn. Er musste fort.

N EUNZEHNTES K APITEL
    Wahrheit
     
     
     
    V IOLANTE VON C OURTENAY
    Vienne, Palast des Erzbischofs, 21. Oktober 1311
     
    Der Kamm strich gleichmäßig durch Violantes Haar. Es war wieder bis zur Mitte der Schulterblätter gewachsen, und das zunehmende Gewicht hatte die Locken der Knabenfrisur zu Wellen geglättet. Eudora fand Gefallen daran, diese Pracht Abend für Abend sorgsam zu pflegen. Das Ritual, das Violante als Kind bei ihrer Mutter so geschätzt hatte, trieb sie als Frau an den Rand der Beherrschung. Sie wollte nicht still sitzen, wenn alles in ihr nach Bewegung schrie. Simon war in Vienne. Unter demselben Dach, und doch hatte sie ihn seit mehr als zwei Tagen nicht zu Gesicht bekommen. Hielt er so sein Versprechen, schnellstens das Gespräch mit ihr zu suchen? Dass er sie vor Pater Étienne wie eine Fremde behandeln musste, verstand sie, aber erkannte er nicht, wie dringlich ihr Auftrag war?
    Tatenlos in diesem Quartier zu sitzen machte sie krank vor Ungeduld. Hier konnte sie nicht um die Sache der Beginen kämpfen. Sie war gefangen wie in einem Käfig, seit der Dominikanerpater so vehement Einspruch dagegen erhoben hatte, Kardinal Colonnas Gastfreundschaft anzunehmen.
    Hätte sie sich nicht um der Sache willen widersetzen müssen? Seine Eminenz war mehr als höflich gewesen. Die Ablehnung seiner Gastfreundschaft musste ihn kränken. Warum lehnte der Pater es ab, seinen Einfluss zu nutzen? »Unsere Zukunft wird verhandelt, und wir sitzen hier, tatenlos.«
    Während Eudora noch mit Violantes Haar beschäftigt war, berichtete sie, was sie zufällig im Garten aufgeschnappt hatte. »Zwei Würdenträger unterhielten sich auf einer Bank. Einer sagte, dass eigentlich nur die Bischöfe aus dem Rheinischen gegen die wandernden Beginen wettern. Sie behaupten, sie brächten Unruhe in die Dörfer und seien nicht viel besser als Gaukler- und Bettlerpack. Der Bettelruf Brot durch Gott verärgert sie am meisten, da sie in dieser Bitte den Namen Gottes missbraucht sehen.«
    Sie wartete auf eine Reaktion von Violante, aber es kam keine. »Ihr seid mit Euren Gedanken weit fort«, klagte sie enttäuscht. Violante versuchte die gekränkte Schwester mit einem Lächeln zu versöhnen.
    »Habt Ihr von Pater Étienne gehört?«
    »Seine Brüder sagen, er weiche dem geheimen Sekretär Seiner Heiligkeit nicht von den Fersen. Er sucht seine Freundschaft«, erwiderte Eudora.
    Violante hätte Pater Étienne gerne ihre Gedanken vorgetragen, aber Eudoras Einwurf brachte sie auf eine bessere Idee. Auch wenn Simon dem Gespräch mit ihr auswich, sie musste sich nicht einfach gehorsam damit abfinden.
    »Wisst Ihr, wo man den Sekretär finden kann«, fragte sie sie knapp.
    »Gütige Mutter, ich habe keine Ahnung, wo ein so hoher Diener des Papstes sein Quartier hat. Wollt Ihr denn mit ihm sprechen? Warum soll er seine Zeit auf die Angelegenheiten der Beginen verschwenden?«
    »Das werden wir sehen«, erwiderte Violante, und es klang sogar in ihren eigenen Ohren fast drohend. »Findet heraus, wo er nächtigt. Irgendjemand muss es wissen. Die Wäschemägde oder die Knechte, die das Kaminholz und die Glutbecken verteilen.«
    Ein heftiges Gewitter hatte der sommerlichen Hitze ein Ende bereitet, und über Nacht war es kühl geworden in Vienne. Aus den Bergen fegte feuchtkalter Wind durch das Rhônetal, in die Gassen der Stadt hinein und kühlte die Häuser. Dass Eudora fröstelnd die Schultern hochzog, hatte jedoch eher mit dem Auftrag als mit der kühlen Witterung zu tun. »Ihr könntet schlafende Hunde wecken. Überlegt Euch gut, was Ihr tut«, warnte sie leise.
    »Das mache ich seit Tagen, und deshalb meine ich, wir müssen handeln, sonst kommen wir zu spät.«
    »Euren Eifer in Ehren, aber es könnte voreilig sein.« Eudora fiel vor Schreck beinahe der Kamm aus der Hand. Violante musste tief Luft holen, als sie den Kopf zur Tür wandte. Wie lange lauschte Pater Étienne ihrem Gespräch bereits? »Wir haben Euch ungeduldig erwartet, ehrwürdiger Vater«, eröffnete sie die für sie unvermeidliche Auseinandersetzung. »Was nützt es, im selben Palast wie Seine Heiligkeit zu wohnen, wenn ich in diese Klosterzelle verbannt bin? Wann kann ich ihm unser Anliegen vortragen? Habt Ihr herausgefunden, ob er eine ausdrückliche Audienz für alle Bittsteller plant?«
    »Hat man dich nicht geheißen, gehorsam und geduldig zu sein?«, wies Pater Étienne sie zurecht und verschränkte dabei

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