Beginenfeuer
so, dass er Violante und den Kardinal plötzlich aus den Augen verloren hatte. Wann waren sie gegangen? Eiligen Schrittes verließ auch er den Palast. Am Prunktor wurde er allerdings unverhofft von Simon aufgehalten. »Mathieu!«
Simon stand in der Pforte zur Kammer der Wachleute, und Mathieu ließ sich widerstandslos in den leeren Raum hineinziehen.
»Ich dachte schon, du würdest überhaupt nicht mehr aus dem Haus kommen. Weißt du, wie lange ich hier auf dich warte?«
»Die Zeit kann dir nicht länger geworden sein als mir, kleiner Bruder. Ich hoffe, der König nimmt an den nächsten Festmahlen Seiner Heiligkeit selbst teil.«
»Hast du etwas von Violante gehört?«
»Wärest du da gewesen, brauchtest du jetzt nicht zu fragen.«
»War sie denn dort? Da soll doch…« Im letzten Moment verschluckte Simon die Verwünschung, die ihm auf den Lippen lag. »Wie kommt sie dahin?«
»Dem Anschein nach hat Kardinal Colonna sie zu Tisch geladen. Sie hat an seinem Arm den Saal betreten.«
»Schon wieder dieser Colonna.«
»Klär mich auf, was das heißen soll.«
In knappen Sätzen berichtete Simon von seinem Zusammentreffen mit dem Kardinal. »Der Papst hat ihm zwar sein Amt zurückgegeben, aber er hat wohl die Kränkung nicht überwunden und ist einer der führenden Köpfe der Opposition gegen Seine Heiligkeit. Ihm missfällt die weltliche Art, mit der die Kurie in Avignon residiert.«
»Und er will nach Rom zurück.«
»Das wollen alle Italiener. Das ist kein Geheimnis.«
Mathieu verschränkte die Arme vor der Brust. »Und Violante sitzt mitten in einem Schlangennest, ohne es zu ahnen.«
»Ich stimme dir zu, aber wie können wir sie dort herausholen? Du hast es mit Strasbourg versucht und bist gescheitert. Wo soll sie hin?«
»Sie muss nach Andrieu gehen.«
Die Idee tauchte so plötzlich in Mathieus Kopf auf, dass er nicht sagen konnte, woher sie kam. Je länger Simon ihn ungläubig ansah, desto schlüssiger schien sie ihm jedoch. Es war die Lösung.
Simon wäre im Traum nicht auf diese Idee gekommen. Violante in Andrieu. Lag Mathieu etwa daran, Violante in seiner Nähe zu haben, wenn er selbst nach Andrieu zurückkäme, und könnte er es ertragen?
Nachdem Mathieu keine Reaktion erhielt, redete er weiter. Sein Plan wurde immer konkreter.
»Hast du nicht erwähnt, dass die Zisterzienser vorhaben, in unserer Nähe ein neues Kloster zu errichten? Wenn ich das nötige Land dafür zur Verfügung stelle, hätte ich vielleicht sogar genügend Einfluss, um etwas für dich zu tun. Du könntest Abt des Klosters werden und ebenfalls nach Andrieu heimkehren…«
»… in ihre Nähe.«
»Warum nicht?«
»Unmöglich. Sie werden es nie zulassen. Ich weiß zu viel über die geheimen Dokumente Seiner Heiligkeit. Man wird mir nie gestatten, der Kurie den Rücken zu kehren und mir meinen eigenen Platz innerhalb unseres Ordens zu suchen.«
»Simon!« Mathieu trat zu ihm und packte seine Oberarme. »Die Kirche hat kein Recht, deine Seele zu zerstören. Denkst du, ich merke nicht, wie du leidest? Du bist zerrissen und krank vor Zweifel. Komm mit mir nach Hause. Die Wälder von Andrieu sind groß genug, um dich auch vor den Machenschaften des Heiligen Stuhls zu schützen. Ich verlange ja nicht, dass du dein Gelübde brichst, aber du kannst Gott auch zu Hause dienen. Als Pater, als Einsiedler, als Eremit, was immer dir zusagt und deine Seele heilt.«
»Du bist verrückt.«
»Narren sagen die Wahrheit, Bruder.«
Unter seinen Händen spürte er den Widerstand der knochigen Gestalt, die einmal muskulös und kräftig wie seine eigene gewesen war. Wenn Simon sich weiter so kasteite, würde er zugrunde gehen.
»Versprich mir, dass du wenigstens darüber nachdenkst«, bat er ihn eindringlich. »Auch Violante wird sich leichter bereit erklären, nach Andrieu zu kommen, wenn du dort bist. Sie würde dir ans Ende der Welt folgen, du weißt es.«
»Und du, Mathieu? Was macht es aus deinem Leben, wenn du Tag um Tag die Frau vor Augen hast, die deinen Bruder liebt und nicht dich?«
Er gab Simon so unverhofft frei, als habe er sich an ihm verbrannt. Woher wusste Simon um die Gefühle, die er nicht einmal sich selbst eingestehen wollte? »Jetzt redest du dummes Zeug«, erwiderte er heiser. »Es ist die Wahrheit. Sie klingt aus allen deinen Worten und steht in deinen Blicken, wenn man dich kennt.«
»Klären wir erst einmal das Nächstliegende«, wich Mathieu aus. »Du musst herausfinden, ob Violante bei Colonna wohnt. Falls du
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