Beginenfeuer
Felix lachte leise. »Beides, würde ich meinen.« Dann wurde er augenblicklich wieder ernst. »Diese Stadt der Händler, Makler und Geldwechsler hat ihre ganz eigenen Wertvorstellungen. Je reicher ein Bürger ist, umso mehr glaubt er, auch mit Gott Geschäfte machen zu können.«
»Und welchen Handel hat Euch Piet Cornelis angetragen?« Simon wollte nicht eingestehen, dass er gelauscht hatte. »Wäre es nicht so empörend, man könnte darüber lachen«, entrüstete sich der Pater. »Allem Anschein nach hat er sich in eine der Seelfrauen vergafft, die seiner Gemahlin im Tode beigestanden haben. Er wollte allen Ernstes meine Unterstützung dafür, das Mädchen zu seiner Gemahlin zu machen. Angeblich gleicht die Begine seiner ersten Frau aufs Haar, und deswegen hat er es sich in den Kopf gesetzt, dass sie ihm die Söhne schenken wird, die ihm bisher versagt geblieben sind.« Simon war erleichtert, dass sein Gastgeber ihm vertraute und nichts vor ihm zurückhielt. Dennoch versuchte er ihn zu provozieren. Die Gelegenheit, seine ehrliche Meinung über den Beginenhof zu erfahren, war günstig. »Beginen legen kein Ordensgelübde ab, die Verbindung wäre also möglich…«
»Da sei Gott davor!« Pater Felix wollte nichts von dieser Möglichkeit wissen. »Jede Jungfrau, die ihr Leben dem Gebet und den wohltätigen Werken widmet, verdient den Schutz der heiligen Kirche. Diese Frauen sind im Beginenhof, weil sie der Eitelkeit der Welt abgeschworen haben und in Demut und Keuschheit leben wollen. Es wäre eine Sünde, würden sie ausgerechnet von ihrem eigenen Pfarrherrn der weltlichen Versuchung ausgesetzt.«
»Sind nicht die Versuchung und ihre Überwindung Teil unserer christlichen Lehre?«
»Die Beginen sind Frauen, sie sind schwach und sündig. Sie bedürfen unseres Schutzes«, erklärte Pater Felix knapp. Sündig akzeptierte Simon, schwach bezweifelte er. Je genauer er das Leben des Beginenhofes in Augenschein nahm, desto stärker wurde sein Eindruck von einer in sich gefestigten und unabhängigen Gemeinschaft. Die riesige Fläche des Weingartens mit ihren Wohnhäusern, Werkstätten, Schuppen, Ställen, Wiesen und Kanälen bildete eine Insel im Häusermeer der Stadt Brügge. Ein Reich, das von der Magistra regiert wurde und dessen Einnahmen in Wirklichkeit noch viel höher sein mussten, als Seine Heiligkeit in Avignon es vermutete. Was geschah mit diesem Vermögen? Wo befand es sich? Kardinal Pellegrue und der Papst würden es von ihm wissen wollen. »Vielleicht sollte man die Beginen in erster Linie vor sich selbst schützen«, erwiderte er als Fazit dieser Gedanken. Er erntete einen seltsamen Blick von Pater Felix, aber das Gespräch endete an dieser Stelle. Beide hatten mit einem Male den Eindruck voneinander gewonnen, dass mehr hinter der Fassade des anderen steckte, als sie anfangs gedacht hatten.
F ÜNFTES K APITEL
Lügen
Y SÉE
Brügge, Beginenhof vom Weingarten, 18. November 1309
Was hatte sich verändert? Ysée starrte ins Dunkel. Sie blieb reglos auf ihrem Strohsack liegen. Was hatte sie geweckt? Die Matratze, deren Füllung unter dem Bezug ständig verrutschte, sodass sie manchmal erwachte, weil sie auf blankem Holz lag, trug dieses Mal keine Schuld. Sie ruhte in der vertrauten klumpigen Vertiefung. Das Nachtgewand bedeckte ihren Leib, wie es sich gehörte. Ausnahmsweise hatte es sich nicht in einen Wust aus Leinen verwandelt, weil sie, von unruhigen Träumen geplagt, im eigenen Bett keine Ruhe fand. Alles war, wie es sein sollte, und doch spürte sie den Schlag ihres Herzens wie eine Warnung.
Sie lauschte auf die Geräusche der Nacht. Im Gebälk des kleinen Hauses knackte es hin und wieder, und dann war da das Rascheln von Mäusen und allerlei anderem Getier auf der Suche nach Nahrung. Am lautesten war Berthe zu hören. Ihre Ziehmutter lag im Alkoven auf dem Rücken und schnarchte.
Der Regen hatte aufgehört! Das Gurgeln, Rauschen und Plätschern hatten ein Ende gefunden. Auch der Sturm war vorbei, bis auf die Geräusche in der Hütte umfing sie eine vollständige Stille. Vielleicht hatte die Ruhe sie geweckt. Hellwach schob Ysée die Decke fort und richtete sich prüfend auf. Konnte sie es wagen? Vorsichtig hob sie ihren Strohsack am Kopfende an. Zwischen Holz und Matratze lag, schützend in eine doppelte Lage Leinen gewickelt, das kostbare Buch der Magistra. Nur bei Nacht, wenn ihre Ziehmutter hinter den Vorhängen ihrer Bettnische ruhte, wagte sie es, diesen Schatz hervorzuholen
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