Beginenfeuer
hob ihren Kopf und küsste sie zart auf die Stirn. Seit dem Tode ihrer Mutter hatte Ysée sich kein einziges Mal so geliebt gefühlt. »Ysée, du musst stark sein. Wir haben uns einen Plan ausgedacht, Mathieu und ich, der dich sowohl vor der Inquisition wie vor deinem Großvater schützen soll. Du bist in höchster Gefahr, du musst Brügge auf der Stelle verlassen. Es ist die einzige Möglichkeit, dich zu retten.« Erschreckt befreite sich Ysée aus seiner Umarmung. »Ihr schickt mich fort? Und wenn ich trotz allem bleiben will?«
»Das ist unmöglich. Es geht um dein Leben. Mathieu ist der Einzige, der dich fortbringen kann, und der Einzige, dem wir vertrauen können. Niemand darf dich erkennen. Bis auf deinen Großvater glauben alle, dass du bei dem Brand ums Leben gekommen bist.«
»Seid Ihr sicher, dass mein Großvater nicht wieder versucht, mich in seine Gewalt zu bringen?«
»Er hat so viel Schuld auf sich geladen, dass es meinem Bruder ein Leichtes war, ihn zum Schweigen zu bringen – und noch etwas.« Simon zögerte, weil er mit ihrem Einspruch rechnete. »Eine ehrbare Jungfer kann nicht mit einem Ritter reiten. Du musst dich als Knappe verkleiden und Knabenkleider tragen.«
Ysée sah ein, dass sie sich wohl in ihr Schicksal fügen musste. Sie zuckte mit den Schultern. Was war ihr Leben schon wert? Ihr eigener Großvater hatte sie entehrt, in den schützenden Beginenhof konnte sie nicht mehr zurück, die Kirche spendete ihr keinen Trost mehr, ihre Ziehmutter war tot. Eine andere Zuflucht als die angebotene besaß sie nicht. Resigniert sank sie auf den gepolsterten Fenstersitz und starrte in die Nacht hinaus. Ihre Hoffnungslosigkeit berührte Simon tief, aber es gab keinen besseren Ausweg.
»Ich muss mich von dir verabschieden, Ysée. Leb wohl, der Himmel möge dich beschützen. Ich werde dich in meine Gebete einschließen.«
»Vergesst mich lieber.«
Ysées Worte klangen leicht vorwurfsvoll. Simon ging noch einmal auf sie zu und sah ihr in die Augen. »Du darfst mir glauben, wenn ich mein Leben nicht Gott geweiht hätte, würde ich dich begleiten und beschützen. Es macht mir das Herz schwer, dass ich es nicht tun kann, ich werde dich nie vergessen.« Er verließ die Kammer.
Ysée schlang die Arme um den Oberkörper. Sie zitterte. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie, in sich gekehrt und tränenüberströmt, auf dem Sitz kauerte, bis die flämische Magd erschien. Sie trug Kleider unter dem Arm und sagte etwas schroff: »Er verlangt, dass ich Euch in einen Knaben verwandle, wisst Ihr das? Eine Dame von Eurer Schönheit. Was ist das nur für eine Welt?«
»Gehorcht ihm.«
Ysée erkannte die eigene Stimme kaum wieder. Spröde klang sie, nicht länger sanft.
»Ist Euch bewusst, dass ich Euch das Haar abschneiden muss? Euer wunderschönes Haar?«
Der Magd war dieser Auftrag zuwider. Nonnen opferten ihr Haar, wenn sie ins Kloster gingen. Gefangene und Huren wurden zur Strafe geschoren, aber doch keine unbescholtene junge Frau.
Ysée hatte nach einer Strähne ihres bewunderten Haares gefasst und zog sie nachdenklich durch die Finger. So viele Erinnerungen verbanden sich mit diesem Haarschmuck. Vielleicht war es ja wirklich an der Zeit, von Kindheitsritualen, Erinnerungen und Träumen Abschied zu nehmen. Zeit, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Sie zerrte den Schleier mit einem Ruck aus dem schmalen Silberreif, warf beides hinter sich auf den Tisch und schüttelte ihre Mähne. »Schneidet es ab.«
Sie schloss die Augen und biss die Zähne zusammen. Strähne um Strähne fiel zu Boden. Als sie die Lider hob, saß sie in einem goldenen Teppich aus Haaren. Ihr Kopf fühlte sich seltsam leicht und kühl an. Sogar der hämmernde Schmerz hinter den Schläfen war verflogen. »Bist du fertig?«, fragte sie die Magd.
Diese bekreuzigte sich. »Ja. Es ist ein Verbrechen. Ihr seht aus wie ein armes geschorenes Lamm.«
»Und wennschon.« Ysée machte einen achtlosen Schritt über das Haar und trat an das Bett. »Sind das die Kleider? Du musst mir zeigen, wie man die Beinlinge befestigt. Wozu sind diese Riemen? Und diese Leinenstreifen?«
»Gemach. Ich zeig Euch alles«, murrte die Frau. »Die Leinenstreifen sind für Eure Brüste. Ihr müsst sie flach binden, damit Euch die Rundung nicht verrät. Und Ihr müsst Leinenzeug für Eure Mondtage im Gepäck haben. Was für ein törichter Plan. Man kann eine Frau nicht in einen Mann verwandeln, das ist gegen jede Sitte.«
»Nun hör schon auf zu jammern
Weitere Kostenlose Bücher