Begraben
Marmortreppe mit vergoldetem Geländer gelangen, die in den Olymp zu führen schien. Unter einem Lüster mit etwa tausend Birnen befand sich die kreisförmige Rezeption.
Cyrille stellte sich vor. Sie sei Doktor Blake und habe um elf Uhr einen Termin mit Professor Arom. Der Empfangschef verneigte sich, notierte ihr Anliegen und telefonierte. Er bat sie, sich noch ein wenig zu gedulden. Unterdessen sah sich Cyrille um und betrachtete eingehend das architektonische Ensemble, das sie umgab. Man hätte sich in einem Vier-Sterne-Palast wähnen können. In dem Wartezimmer, das mehr einer Lounge der Business-Class glich, hatte man Zugang zu mehreren Schaltern. Sie zählte nach, es waren insgesamt sieben, und hinter jedem stand eine Krankenschwester mit weißer Haube.
Cyrille wusste, dass der Medizintourismus eine regelrechte Industrie in Thailand geworden war. Allein im Jahr 2006 hatte das Königreich mehr als eineinhalb Millionen »medizinische« Touristen in Empfang genommen, was einen geschätzten Umsatz von einer Milliarde Dollar eingebracht hatte. Die Klientel strömte aus der ganzen Welt herbei, vor allem aus den angelsächsischen Ländern, seit September 2001 aber auch aus den Ländern des Persischen Golfs, für die der Erhalt eines USA-Visums problematisch geworden war. Der Medizintourismus war hier ein gigantisches Geschäft. In Bangkok gab es bei Untersuchungen keine Wartezeiten, und selten musste sich der Patient mehr als zwei Wochen für eine Operation oder eine schwerwiegende medizinische Intervention gedulden. Für ein paar tausend Dollar bekam man eine neue Hüfte, ein Lifting oder eine Geschlechtsumwandlung … Die Operationen wurden unter den denkbar günstigsten Bedingungen von zumeist in den USA ausgebildeten Ärzten vorgenommen. Alle Abläufe wurden auf einer DVD registriert, die der Patient für seine Krankenakte mit nach Hause bekam. Darüber hinaus beherrschte das Personal alle gängigen Sprachen, und die Ernährung wurde dem jeweiligen Diätplan angepasst.
Cyrille konnte es nicht fassen. In der Lobby des Bangkok Hospital wurden Filme auf großen Plasmabildschirmen gezeigt, ja, sogar kleine Entspannungsmassagen angeboten. Ein Lächeln auf den Lippen, schwebten hübsche Krankenschwestern anmutig vorüber.
Cyrille musste an die öffentliche Fürsorge mit ihren ärmlichen Krankenhäusern denken, die kaum über die Runden kamen. Und auch an ihre eigene kleine Klinik, die sich, verglichen mit diesem Luxus, geradezu bescheiden ausnahm. Sie würde ihr Zentrum moderner und ansprechender gestalten müssen. Der Mann am Empfang rief sie herbei.
»Doktor Blake?« Er deutete auf den Lift. »Dritte Etage bitte.« Cyrille befestigte das Badge an ihrem Kleid und wartete, dass der Aufzug von seinem Everest aus Glas und Licht zu ihr herabglitt.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Jetzt wurde ihr erst richtig bewusst, warum sie eigentlich hier war. Am meisten graute es ihr davor, dem Professor noch einmal ihr Gedächtnisproblem darlegen zu müssen. Sie hatte ihre Erläuterung mehrmals in Gedanken wiederholt, wusste aber immer noch nicht, ob sie die Geschichte mit ihrem Kater erwähnen sollte. Sie beschloss, es dem Zufall zu überlassen. Sie würde schon sehen, ob sie den Mut fände, ihrem Kollegen davon zu berichten. Sie trat in den Aufzug und schwebte in einem leichten Windzug nach oben.
Die dritte Etage war den Gedächtnisproblemen gewidmet – in allen alternden Gesellschaften ein weitverbreitetes Übel, das immer mehr wohlhabende verängstigte Patienten aus der ganzen Welt hierherführte. Cyrille las die Hinweisschilder: Sprechstunde für »Gedächtnis«, für »Alzheimer«, für »Gedächtnispathologien«. Sie folgte den Pfeilen. Der Teppichboden war hochflorig, die Bepflanzung in den Kübeln üppig. Am Ende des Flurs befand sich eine Flügeltür, daneben das Schild mit dem Namen »Dr. Arom«. Cyrille klopfte ein erstes Mal, dann, als sie nichts hörte, ein zweites Mal etwas energischer. Eine weibliche Stimme bat sie, einzutreten. Kim, Aroms Assistentin, erhob sich hinter ihrem Schreibtisch. Sie konnte nicht älter als dreißig Jahre sein. Ihr glänzendes schwarzes Haar war zum Pagenkopf geschnitten, sie trug eine beigefarbene Bluse mit Mao-Kragen, dazu einen passenden braunen Rock. Ein strahlendes Lächeln auf den Lippen, verneigte sie sich. Cyrille tat es ihr gleich.
»Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte Cyrille.
»Ich auch, Doktor Blake. Wie ist Ihr Hotel?«
Cyrille griff zu einer
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