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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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tun?«
    »Guten Tag, Madame. Ich rufe an, weil ich … ein Problem habe.«
    »Was ist passiert?«
    »Ich bin gerade aufgewacht und ich … ich sehe nichts.«
    »Überhaupt nichts?«
    »Ich glaube, ich bin … blind.«
    Marie-Jeanne blieb noch zehn Minuten mit dem Rettungsdienst verbunden, während man ihr einen Krankenwagen und den Notarzt schickte. Sie war außer sich. Sie hatte sich selbst in diese Misere gebracht, nun musste sie auch selbst sehen, wie sie klarkam. Als Julien am Vortag in der Früh, nachdem sie sich geliebt hatten, neben ihr eingeschlafen war, wusste sie, dass er krank war, aber nicht, dass er ihr so etwas antun würde.
    Sie hatte ihm helfen wollen. Er hatte ihr offenbar ein starkes Schlaf- oder Narkosemittel verpasst. Wie? Sie hatte keine Ahnung. Vielleicht in dem Kaffee, den er ihr gemacht hatte. Sie wusste nur, dass sie sehr lange geschlafen hatte, und als sie aufwachte, war sie aus dem Bett gefallen. Sie hatte sich an dem kleinen Tisch hochgezogen und den Schalter der Nachttischlampe gesucht. Aber sie hatte nichts gesehen. Ihre Augen waren tot. Und er, ihre große Liebe, war fort.

34
    9   Uhr
    Cyrille rief von ihrem Zimmer aus im Büro von Sanouk Arom an, um sich ihren Elf-Uhr-Termin bestätigen zu lassen. Sie geriet an Kim, seine Sekretärin, die sie in Bangkok willkommen hieß und ihr erklärte, wie sehr der Professor und sie selbst sich freuten, ihre Bekanntschaft zu machen.

10   Uhr
    Cyrille hielt sich nicht lange auf der Khao San Road auf. Sie hatte keine Lust, Julien Daumas oder Youri zu treffen. Die schwarze Sonnenbrille auf der Nase, verließ sie eilig das Hotel und stieg in ein Taxi. »Brain Hospital, please«, sagte sie zu dem Chauffeur. Nach diesem Termin würde sie ihr Gepäck holen, um eiligst das Hotel zu wechseln.
    Im Süden der Altstadt gelegen, erhob sich die Klinik über dem Fluss Chao Phraya und war, Luftlinie gerechnet, eigentlich nicht weit entfernt. Mit dem Auto aber und bei dem dichten Verkehr konnte der Weg eine gute Stunde in Anspruch nehmen.
    Sie fuhren durch imposante Alleen, die, am Museum vorbei, zum Großen Palast führten. Zu beiden Seiten der sechsspurigen Straße prangten riesige Porträts des Königspaars, die im Licht der hochstehenden Sonne in allen Goldtönen schimmerten. Cyrille drückte ihre Tasche mit der Auswertung der MRT und die CD-ROM mit den Aufnahmen an die Brust. Sie hatte auch die Videopräsentation des Meseratrol und ihre letzten Publikationen dabei, die Arom sicher interessieren würden.
    Vergebens versuchte sie, nicht länger an Marie-Jeanne und an Julien Daumas zu denken. Der junge Mann hatte sich sogar in das Bett ihrer Nichte und wahrscheinlich auch in ihre Wohnung eingeschlichen. Er manipulierte seine Umgebung, war heimtückisch und gefährlich.
    Cyrille konzentrierte sich auf die Stadt. Der Verkehr wurde immer dichter. Begleitet vom fröhlichen Geknatter der Tuk-Tuks, kämpften sich die Autos Stoßstange an Stoßstande voran. Cyrille strich ihren Rock mit der flachen Hand glatt. Sie trug ihr beigefarbenes Leinenkleid, schlicht aber gut geschnitten, dazu ihre Ballerinas. Das Haar hatte sie zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden. Eine echte Pariserin.
    Das Taxi durchquerte ein Wohnviertel und fuhr dann ein Stück am Fluss entlang. Sie bogen auf die monumentale Phra-Pok-Klao-Brücke, setzten den Weg auf der Phrachatipok Road fort, bis sie in ein riesiges Areal kamen, in dem Kräne, Bagger und Pressluftbohrer miteinander wetteiferten und wo gewaltige Gräben auf Gerüste und Baubaracken folgten.
    »Was soll hier entstehen?«
    »Wohn- und Bürogebäude und dort hinten ein neues Krankenhaus.«
    »Sind wir bald da?«
    »In fünf Minuten.«
    Cyrille nickte und griff zu ihrem Handy. Sie schrieb eine neue SMS an Nino und erläuterte die aktuelle Situation. »Daumas ist in Bangkok, er weiß, wo ich bin. Fahre jetzt gerade zu Arom. Halte Dich auf dem Laufenden und rufe später an, um zu erfahren, was es Neues bei euch gibt. Danke für alles, C.«
    Das Taxi umfuhr die x-te Baustelle und hielt schließlich vor einem hohen weißen zylindrischen Gebäude. Das Brain Hospital. Es war zehn Uhr vierzig, ihr blieb also noch genug Zeit. Sie bezahlte den Taxifahrer, bedankte sich und stand vor dem imposanten Eingang der Klinik. Die automatische Glastür öffnete sich zu einer Halle, die es mit einer Kathedrale hätte aufnehmen können. Ein Aufzug aus Plexiglas fuhr hinauf bis ins vierte Stockwerk. Man konnte dorthin aber auch über eine breite

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