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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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Rechten. Alle Akten waren mit dem Logo der VGCD – ein erhobener Daumen vor weißem Hintergrund – versehen.
    Cyrille kam auf ihre anfängliche Frage zurück. Was war zwischen neun und zehn Uhr passiert? Es könnte das Ergebnis persönlicher Überlegungen gewesen sein, doch das bezweifelte sie, da der Professor mehrere Tage Zeit gehabt hatte, um den Termin abzusagen. Eine Begegnung mit jemandem oder eine Nachricht, die er bekommen hatte? Arom war schwerhörig. Eine SMS oder eine E-Mail war sehr viel wahrscheinlicher. Cyrille klickte auf das Icon MAIL unten links auf dem Bildschirm. Die Software Thunderbird summte, dann öffnete sich das Fenster mit den letzten gelesenen E-Mails, gesperrt durch einen weißen Balken mit der Aufschrift PASSWORT. Cyrille nagte an ihrer Lippe. Mist, das Passwort kannte sie natürlich nicht.
    Plötzlich aber wurde ihr klar, dass sie es gar nicht brauchte.
    Die Antwort auf ihre Frage befand sich direkt vor ihren Augen.
    Sanouk Arom hatte um neun Uhr zwölf eine E-Mail von Benoît Blake erhalten …
    Weitere hatte er um sieben Uhr vierzig, um acht Uhr zehn und um acht Uhr dreißg bekommen. Blake hatte Arom bedrängt, bis dieser nachgegeben und Cyrille ihrem Schicksal überlassen hatte! Sie hätte viel darum gegeben, den Inhalt zu lesen, doch ohne Passwort war ihr der Zugang versperrt.
    Wütend griff sie zu ihrem Handy und wählte Blakes Nummer. Sie wartete auf das erste Klingelzeichen, legte aber gleich wieder auf. Nein, ich gehe nicht auf dein Spiel ein. So einfach lasse ich mich nicht reinlegen. Du willst Krieg, du sollst ihn haben. Sie lehnte sich im Sessel des Professors zurück, mit dem starken Verlangen, ihren Mann umzubringen. Er hatte sie angelogen und Arom, egal wie, Angst gemacht. Für diesen Verrat würde er zahlen müssen. Ihr eigensinniges Temperament gewann wieder die Oberhand. Wenn Benoît alles getan hatte, um dieses Treffen zu verhindern, würde sie alles tun, damit es doch stattfand. Das Spiel war noch nicht abgepfiffen. Sie richtete sich auf und öffnete ohne Skrupel das erste Dossier des Stapels der Volunteer Group for Child Development. Auf der ersten Seite zeigte ein Foto ein Mädchen von höchstens fünfzehn Jahren. Alles war auf Thai redigiert. Sie suchte nach Kurven oder Ziffern, anhand derer sie sich orientieren könnte. Sie sah Scannerbilder, Ratingskalen, doch ohne eine Übersetzung konnte sie nicht viel damit anfangen.
    Sie saß eine Weile reglos vor den Akten, bis sie wusste, was zu tun war.

35
     
    Ein Pfleger hatte Marie-Jeanne nach der Operation in ein Einzelzimmer im zweiten Stock der Augenklinik Quinze-Vingts gebracht. Nun lag sie mit einem dicken Verband über den Augen, die nach Desinfektionsmittel riechende Decke bis zur Nasenspitze hochgezogen, in ihrem Bett. Nur die üppige rote Haarmähne, die unter den Laken hervorquoll, schien noch lebendig zu sein. Marie-Jeanne war tief deprimiert. Sie hatte das Gefühl, in einen Abgrund gestürzt zu sein. Sie wusste, was ihr widerfahren war, dass sie sich in einer sehr schlechten Verfassung befand und das Augenlicht wahrscheinlich nie mehr wiedererlangen würde. Sie fühlte sich selbst verantwortlich für ihre Situation. Dies war der Preis für all ihre Fehler, für ihr ständiges Scheitern. Wieder einmal hatte sie einem Verrückten vertraut. Der letzte hatte sie geschlagen, dieser hatte ihr die Augen ausgestochen. Fast hätte sie ein Lachen ausgestoßen, ein irres, bitteres Lachen. Sie hatte einen Geisteskranken geliebt und sich von ihm übel zurichten lassen. Das Schlimme war, dass sie nicht einmal wusste, ob sie ihm böse war. Sie wollte einfach nur schlafen, weit weg von diesen Männern, die sie fallen ließen wie eine kaputte Puppe, auf ihr herumtrampelten und sich dann aus dem Staub machten. Sie wollte einfach nur schlafen und nie mehr aufwachen. Ihr Leben war wertlos.
    Es wurde an die Tür geklopft, und sie vernahm ein Rascheln.
    Die Person, die eintrat, stellte sich als Dr.   Pochon vor, näherte sich ihrem Bett und sprach langsam und mit tiefer Stimme. Sie schob die Bettdecke ein wenig nach unten, um besser verstehen zu können, welches Schicksal man ihr nun verkünden würde.
    »Die Operation ist gut verlaufen, Mademoiselle. Sie haben großes Glück, noch am Leben zu sein. Wir konnten die Wunden säubern. Leider hat Ihnen der Angreifer mit einem chirurgischen Instrument zwei äußerst präzise und tiefe Schnittwunden in die Hornhaut, das heißt, in die glasklare Membran, die das Auge überzieht,

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