Begraben
angezeigt. Cyrille rief anschließend einen Stadtplan von Bangkok und eine Wegbeschreibung auf, beendete die Verbindung und verstaute das iPhone wieder in ihrer Tasche. Ein Tuk-Tuk-Fahrer hielt auf ihrer Höhe. Sie erklärte ihm mit wenigen Worten und vielen Gesten, wohin sie wollte.
Eine Viertelstunde später stieg Cyrille am Schiffsanleger des Chao Phra River aus dem dreirädrigen Fahrzeug. Der Fluss führte braunes, aufgewühltes Wasser. Sie bezahlte siebzig Baht und ging an Bord eines schmalen, langgestreckten Bootes mit spitzem Bug und Pagodendach. Sie setzte sich auf die letzte Bank hinter mehreren Reihen von Touristen und einheimischen Passagieren. Ein barfüßiger Seemann in Jeans und gelbem T-Shirt löste das Tau, und das Boot legte ab. Der stürmische Fluss durchzog die weitläufige Stadt von Ost nach West, drang mit seinem Netz von Kanälen, den khlongs, ins Zentrum ein. Der Wind frischte auf, und für eine kurze Atempause schloss Cyrille die Augen. Eine quäkende Stimme lieferte über Lautsprecher Informationen zu der Spazierfahrt. Das Langboot fuhr den Fluss hinauf, vorbei an mehreren Reihen kunstvoll gearbeiteter, gelber oder purpurroter Holzboote, die in der grauen Dünung schaukelten. Am rechten Ufer schienen sich ärmliche, auf Pfählen stehende Holzhäuser gegenseitig zu stützen. Zwischen den Dächern aus bunten Materialien hing Wäsche, vor den Häusern spielten Kinder. Zu ihren Füßen floss das Abwasser in den Fluss.
An einem schmalen Kanal war Waschtag. Cyrille rümpfte die Nase beim Anblick des dicken weißen Schaums, der auf dem Wasser trieb und den Chao Phra noch etwas mehr verschmutzte. Plötzlich sah sie den Tempel der Morgenröte, Wat Arun, mit seinem sechsundachtzig Meter hohen Turm, komplett mit kleinen Porzellanscherben verkleidet. Zu seinen Füßen wachten Skulpturen himmlischer Tänzerinnen.
Erster Stopp am Schiffsanleger. Cyrille erhob sich gleichzeitig mit den Touristen und betrat den Quai. Sie ging bis zum Tempel und dann links am Fluss entlang. Zwei Häuser weiter kontrastierte ein großes und elegantes Gebäude mit dem Elend des Slums, durch den sie soeben gegangen war. Es war ein schönes bürgerliches Wohnhaus aus Bambus auf massiven Pfählen, verziert mit einer Veranda, auf der Töpfe mit rosa blühenden Pflanzen standen. Die Fahne mit dem Logo der VGCD, ein erhobener Daumen auf weißem Untergrund, flatterte im Wind.
36
Paris, 18 Uhr
Nino hatte seine Nachttischlampe auf den niedrigen Wohnzimmertisch gestellt, um die Blätter und Bücher zu erhellen, die er dort ausgebreitet hatte. Er saß auf dem Teppich, die Ellenbogen auf den Tisch und den Kopf in die Hände gestützt, und versuchte zum x-ten Mal vergeblich, die medizinischen Publikationen, die er ausgedruckt hatte, zu verstehen. Er schimpfte laut vor sich hin:
»Mist, ich bin kein Forscher und kein Quacksalber, ich verstehe nur Bahnhof!«
Tony brachte die dritte Runde Kaffee.
»Ich kann dir dabei leider auch nicht helfen.«
»Du hast uns bereits sehr geholfen!«, antwortete Nino mit sanfter Stimme und griff nach einer Zigarette.
Tony hatte die Festplatte von Maniens ehemaligem PC seinem Exfreund Damien anvertraut. Der arbeitete seit drei Jahren in der Firma InformExtra, die sich auf die Wiederherstellung gelöschter EDV-Daten spezialisiert hatte. Tony war eine Stunde im Warteraum geblieben, während Damien sozusagen am offenen Herzen des Computers arbeitete. Bekleidet mit einem Overall, einer Gesichtsmaske und Stiefeletten war er in einem sterilen weißen Interventionsraum verschwunden. Damien war mit guten Nachrichten zurückgekommen. Einige der gelöschten Dateien hatte er retten können. Er hatte ihm eine gebrannte CD übergeben und zehn Prozent Nachlass auf den Preis gewährt.
Allerdings hatte es ihn immerhin noch dreihundertachtzig Euro gekostet, zwei verflixte Dateien zu extrahieren. Doch da Tony wusste, wie wichtig es für Nino war, hatte er keinen Moment gezögert.
Nun war es sechs Uhr abends, und er fragte sich, ob er das Geld nicht doch besser in ein Wellness-Wochenende in Djerba investiert hätte. Die beiden von Damien rekonstruierten Dateien waren unverständlich. Momentan war das einzig Interessante, dass beide 4GR14 hießen. Dann folgten Zahlentabellen und Kurven, die für Nichteingeweihte ziemlich konfus waren. Nino schwieg, verlor jedoch zunehmend den Mut. Eine Stunde zuvor hatte er beide Dateien an Cyrille geschickt, bisher jedoch keine Antwort erhalten.
Auf dem ersten Dokument hatte Nino
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