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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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schließlich Protokolle klinischer Versuche identifizieren können, aber das war vorerst auch alles. Solche Protokolle hatte er bereits gesehen, ohne jedoch zu versuchen, sie zu verstehen. Für seine Arbeit war nur die letzte Seite wichtig, auf der vermerkt war, welcher Patient welches Medikament in welcher Dosis und welchen Abständen erhalten sollte. Alles andere hatte ihn nicht zu interessieren. Als er sich ein einziges Mal damit hatte beschäftigen wollen, hatte ein Assistenzarzt zu ihm gesagt: »Das geht dich nichts an.« Okay, du kannst mich mal . Damit war das Thema für ihn erledigt gewesen.
    Er las erneut die Excel-Tabelle, in der Zahlen, Dosierungen in Mikrogramm, Resorptionszeit, Prozentangaben und Molekülformeln standen. Seine Kenntnisse in Chemie beschränkten sich auf sein Schulwissen, und er hatte in diesem Fach nie besonders geglänzt. Er seufzte erneut. Was hatte er eigentlich erwartet? Dass groß und deutlich dort stehen würde: »Ich habe Patienten gefährliche Arzneimittel verabreicht, und sie leiden dadurch unter schwerwiegenden Folgeerscheinungen?«, unterzeichnet vom Chefarzt und mit einem Klinikstempel der Sainte-Félicité versehen? Ein schönes Beweisstück, um diesen Dreckskerl verurteilen zu können?
    Solch offensichtliche Spuren hinterließen die Bösen nur im Film. Im wirklichen Leben vertuschten die Ärzte ihre Fehler im Handumdrehen, und bis auf wenige Ausnahmen wurde keiner je dafür zur Rechenschaft gezogen.
    Nino blies Rauchwolken über den Tisch. Wortlos stand Tony auf und öffnete das Fenster. Dann setzte er sich wieder neben seinen Lebensgefährten.
    »Warum ist es eigentlich so wichtig für dich, Cyrille zu helfen?«
    Nino zog lange an seiner Zigarette und antwortete:
    »Vor zehn Jahren habe ich sie wirklich geliebt. Wir haben uns vollkommen vertraut. Ich glaube, ein Mädchen wie sie hätte ich heiraten können … wenn du nicht aufgekreuzt wärst.«
    Nino zwinkerte seinem Geliebten zu, der zurücklächelte. Beide widmeten sich wieder der Tabelle. Nino beschloss, es mit den chemischen Formeln aufzunehmen.
    Die verschiedenen »Cs«, »Ns«, »Os« und »Hs« waren schließlich nichts anderes als Kohlenstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- und Wasserstoffatome. Das erschien ihm weniger kompliziert als der Rest.
    »Wofür könnte diese chemische Formel stehen?«, fragte er sich und öffnete das Chemiebuch, das er in der Bücherei ausgeliehen hatte.
    Tony griff nach seinem Laptop und tippte die Formel auf der Tastatur ein.
    »Ich hab’s«!, rief er aus, stolz, etwas beitragen zu können.
    Er hatte die Formel bei Google eingegeben.
    »Das ist zweiR1isopropylamino4-1-naphthyloxypropan3-ol.«
    »Wie bitte?«, fragte Nino.
    Tony drehte ihm den Bildschirm zu.
    »(RS)-1-Isopropylamino-3-(1-naphthyloxy)2-propanolol.«
    Nino zog eine Grimasse.
    »Das bringt uns ja richtig weiter!«
    Sein Lebensgefährte kopierte die Bezeichnung und startete eine neue Suche.
    »Aha!«
    »Was?«
    »Sagt dir Meseratrol mehr?«

37
     
    Anuwat Boonkong, der Sekretär der Außenstelle der Volunteer Group for Children Development in Bangkok, hatte die Fünfunddreißig überschritten. Er war bekannt für seine Jovialität, sein verbindliches Lächeln und seine Entschlossenheit. Wie immer trug er ein weißes T-Shirt mit dem Logo der Hilfsorganisation über einer schwarzen Sporthose und Flip-Flops. Als militanter Aktivist der Tanskin-Opposition war er ein gefürchteter Gegner, wenn es darum ging, die Rechte der Schutzlosen zu verteidigen. So hatte er eine nicht unerhebliche Anzahl von Demonstrationen gegen die Korruption organisiert und arbeitete seit nunmehr zwei Jahren für die VGCD.
    »Professor Arom hat mir vor zwei Tagen angekündigt, dass eine französische Kollegin kommen und uns eventuell besuchen würde. Ich fühle mich sehr geehrt.«
    Cyrille verbeugte sich. Das war noch vor Benoîts Einmischung gewesen. Zum Glück hatte der junge Mann heute keinen Kontakt zu Sanouk Arom gehabt.
    »Auch ich fühle mich sehr geehrt. Der Professor hat mir erzählt, dass er einige Ihrer Schützlinge behandelt hat.«
    Anuwat Boonkong geleitete sie durch einen hellen Korridor, der in einen großen verglasten Raum mit Blick auf den Garten führte.
    »In Asien werden über eine Million Kinder sexuell missbraucht, in Bars, auf den Straßen, in Hotels«, erklärte er seiner Besucherin. »Die erste VGCD wurde im Norden des Landes gegründet, in Chiang Mai.«
    »Wie arbeiten Sie?«
    »Erzieher sind vor Ort, auf den Straßen, um die

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