Begraben
empfängt!«
Cyrille unterdrückte einen Aufschrei.
»Das hast du gewagt!«
»Du hast mich mit deinem Verhalten dazu gezwungen!«, erwiderte ihr Mann.
Cyrilles Stimme bebte vor Wut.
»Du hast mich dazu getrieben. Wenn du aufhören würdest, mich zu belügen, könnte ich dir vielleicht vertrauen!«
»Was erzählst du denn da?«, wetterte ihr Mann.
»Kürzel 4GR14 sagt dir wohl nichts, oder?«
Ein verdutztes Schweigen war die Antwort.
»Was?«
»Du hast mich sehr gut verstanden.«
Benoît atmete geräuschvoll ein.
»Cyrille, es ist meine Pflicht, dir zu sagen, dass du phantasierst. Du redest wirres Zeug. Ich sorge mich um dich und möchte, dass du nach Paris zurückkommst. Ich habe Angst, dass du sonst eine große Dummheit begehst.«
Cyrille blieb an einer Kreuzung stehen und wartete, dass die Ampel auf Rot sprang. Sie schniefte. Grüner Fußgänger. Sie überquerte die Straße.
»Du hältst mich also für unfähig, zu beurteilen, was gut für mich ist, nicht wahr?«
»Sieh mal, mein Liebling, wenn du beobachtest, wie jemand dabei ist zu ertrinken, wirfst du ihm dann einen Rettungsring zu oder lässt du ihn selbst entscheiden, was das Beste für ihn ist? Vor allem nach deinem Anfall neulich nachts …«
Cyrille schloss vor Zorn die Augen.
Ein Schlag unter die Gürtellinie.
Tränen rannen ihr über die Wangen. Seit sie mit diesen Problemen zu kämpfen hatte, hatte Benoît niemals die richtigen Worte gefunden. Er erniedrigte sie und behandelte sie wie eine Kranke. Sie hatte genug davon.
»Hör zu, Benoît, ich werde zurückkommen, aber nicht sofort. Ich habe hier noch Verschiedenes zu erledigen. Und wenn ich zurückkomme, werde ich alles so machen, wie ›ich‹ es will. Ich werde aufsuchen, wen ›ich‹ möchte, und wenn es nötig ist, werde ›ich selbst‹ entscheiden, in eine Klinik zu gehen. Du kannst mich nicht mehr bevormunden. Damit ist Schluss. Und weißt du, eines Tages werde ich die ganze Wahrheit erfahren.«
»Womit ist Schluss?«, fragte ihr Mann plötzlich alarmiert.
»Mit unserem bisherigen Arrangement, bei dem ich die Schülerin bin und du der Lehrmeister bist. Damit ist Schluss. Alles Weitere werden wir sehen.«
»Was werden wir sehen?«
»Wir werden sehen, das ist alles.«
Damit beendete sie das Gespräch.
Sie schluckte ihre Tränen hinunter, ihr war schwer ums Herz. Sie fühlte sich schlecht und völlig verlassen, am Rand eines Abgrunds. Ihre Ehe war gefährdet. Nicht nur, dass Benoît sie belog, er war auch egozentrisch und unsensibel, für ihn zählte nur sein eigenes Wohlbefinden. Solange seine Frau auf dem aufsteigenden Ast war, berufliche Erfolge erzielte und eine gute Presse bekam, war alles in Ordnung. Aber kaum zeigte sie Schwäche, bemühte er sich nicht um Verständnis, sondern wollte nur seinen Willen durchsetzen.
Sie musste unbedingt etwas zu sich nehmen. Sie blieb bei einem Straßenhändler stehen, dessen Essen angenehm duftete. Sie kaufte ein Schälchen Reis mit Kokosmilch und scharfem Schweinefleisch und eine Flasche Wasser, die sie in ihre Tasche steckte. Bei einem anderen Händler kaufte sie eine Schachtel Zigaretten und Streichhölzer. Das erste Mal seit … fünfzehn Jahren. Während sie in der Sonne weiterging, schaufelte sie mit den Stäbchen das Essen in sich hinein, trank einen Schluck Wasser und stürzte sich erneut in die Stadt. Sie lief einfach weiter, ohne etwas wahrzunehmen, tief in Gedanken versunken. Sie fühlte sich völlig überfordert und außerstande, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Der alte Professor, von dem sie sich eine Lösung erhofft hatte, war krank und hatte am Ende seiner beruflichen Laufbahn Angst um seine Reputation. Was Benoît betraf … Belog er sie? Sie hatte noch immer keine Antwort von Manien erhalten. Einerseits wollte sie rasch die Wahrheit über eine mögliche Verstrickung ihres Ehemanns erfahren, andererseits fürchtete sie sich davor.
Eine Zeit lang ging sie Richtung Fluss, bedrängt von den vielen Problemen. Die dringlichste Frage war: »Wie hatte Arom die amnestischen Jugendlichen behandelt?« Ihr wurde klar, dass sie nicht weiterkäme, solange dieser Punkt nicht beantwortet war. Sie war davon geradezu besessen. Plötzlich blieb sie stehen und holte ihr iPhone heraus. Es war ihr egal, was es kosten würde. Sie berührte den Screentouch und stellte eine Verbindung zum örtlichen Netz her. Nach einer Weile hatte sie Zugriff auf eine Suchmaschine und startete eine Anfrage. Die Antworten wurden nach einigen Minuten
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